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Brasiliens Präsident Michel Temer will sich von den Korruptionsvorwürfen nicht beirren lassen. Die Börse in Brasilien befand sich im freien Fall.
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Brasilia. Bei den Abendnachrichten ließ der Globo-Konzern die Bombe platzen, die Brasilien erneut in eine tiefe politische Krise katapultiert. Präsident Michel Temer wurde demnach dabei aufgenommen, wie er über einen Mittelsmann das Schweigen eines der korruptesten Politikers Brasiliens erkaufen lässt, der schon seit Monaten im Gefängnis sitzt: Eduardo Cunha, der wiederum über seine Schweizer Bankkonten gestolpert ist.
Pikanterweise war es diesmal Joesley Batista, der die Aufnahme von Temer anfertigte. Batista ist Chef von JBS, dem größten Fleischkonzern der Welt, der vor einigen Wochen wegen eines Gammelfleischskandals in den internationalen Medien war. Gemeinsam mit seinem Bruder Wesley sowie sieben JBS-Managern präsentierte Batista das belastende Material gegen Temer direkt beim Obersten Gerichtshof in Brasilia. Dieser ist für die Untersuchungen gegen Mandatsträger zuständig. Die Batista-Brüder machten ihre Aussagen im Zuge einer Kronzeugenregelung. Sie waren vorgeladen worden, weil der JBS-Konzern im Verdacht steht, im großen Stil illegale Parteispenden geleistet zu haben.
Im Tausch wurde JBS offenbar bei Kreditvergaben der staatlichen Entwicklungsbank BNDES bevorzugt. Die Firma hat zuletzt enorm expandiert. In der nun veröffentlichten, ebenso belastenden wie peinlichen Tonaufnahme ist Brasiliens Staatsoberhaupt Michel Temer zu hören, wie er die Übergabe von umgerechnet rund 150.000 Euro durch einen Mittelsmann an den inhaftierten Ex-Parlamentspräsidenten Cunha billigt. Joesley Batista eröffnet dabei Temer, dass er Schweigegeld an Cunha zahlt. Daraufhin sagte der Präsident zu Batista wörtlich: "Du musst damit weitermachen, klar?"
Die Aufnahme wurde am 7. März dieses Jahres in Temers offizieller Residenz in Brasilia gemacht. Mit der Übergabe des Geldes beauftragt wurde ein Parlamentsabgeordneter von Temers Partei PMDB. Dieser wurde dabei gefilmt, wie er einen Geldkoffer mit umgerechnet 150.000 Euro in Empfang nimmt. Offenbar hatte die brasilianische Bundespolizei diese und weitere Schmiergeldübergaben mit den Batista-Brüdern und anderen JBS-Managern abgesprochen. Die Seriennummern aller Banknoten waren zuvor registriert und die Geldkoffer mit Chips ausgestattet worden, um deren Wege nachverfolgen zu können.
Präsident Temer leugnete, dass er das Schweigen Cunhas erkaufen wollte. Dem Parlament erklärte Temer am Donnerstag, seine Regierung werde sich nicht durch diese Anschuldigungen entmachten lassen. Er sprach von einer "Verschwörung". "Ich werde nicht zurücktreten", sagte er nach stundenlangen internen Beratungen in einer kämpferischen Ansprache. "Ich habe das Schweigen von niemandem erkauft." Temer forderte eine rasche Untersuchung und kritisierte, dass er illegal abgehört worden sei.
Das Oberste Bundesgericht Brasiliens genehmigte unterdessen Ermittlungen gegen Temer wegen Korruption. Das Gericht habe Ermittlungen eingeleitet, meldete die amtliche Nachrichtenagentur Agencia Brasil.
Temer, lange der ewige Zweite in der früheren Regierungskoalition und im Sommer 2016 nach der Amtsenthebung von Dilma Rousseff ohne Wahlen an die Staatsspitze vorgerückt, hat seitdem den Ruf nach Neuwahlen stets ignoriert. Zur Erinnerung: Seine Vorgängerin Rousseff wurde wegen Korruptionsvorwürfen innerhalb ihrer Arbeiterpartei und vagen "Bilanztricks" entmachtet, gegen sie selbst hat sich bisher kein Korruptionsvorwurf erhärtet.
Doch obwohl Temer Kontinuität trommelte, sahen die Märkte das anders. Inmitten des Polit-Bebens krachte es an der Börse in Brasilien gewaltig.
Banken verloren bis zueinem Viertel ihres Wertes
Der Leitindex Ibovespa mit den Werten von rund 70 Unternehmen fiel an der Börse in São Paulo um 10,46 Prozent, der Handel wurde zeitweilig durch einen Automatismus ausgesetzt. Zu den größten Verlierern gehörten die Titel der Geldinstitute wie die teilstaatliche Banco do Brasil, die mit minus 24,57 Prozent bei der Eröffnung der Börse fast ein Viertel ihres Wertes einbüßte. Auch die Vorzugsaktien von Itaú Unibanco und von Bradesco fielen um 18,84 Prozent und 17,63 Prozent. Der Bankensektor ist die am schwersten gewichtete Branche im Ibovespa-Index. Aber auch die Papiere von Brasiliens teilstaatlichem Paradeunternehmen Petrobras fielen um 18 bis 20 Prozent. Runter ging es auch mit den Preisen von Agrar-Rohstoffen, etwa bei Kaffee um 3,8 Prozent, bei Zucker um 1,7 Prozent und bei Sojabohnen um 3,3 Prozent. Der Dollar wurde so stark wie seit Wochen nicht mehr im Vergleich zur Landeswährung Real notiert, der Kurs lag bei einem Dollar zu 3,3150 Real.
Brasiliens Finanzministerium und die Zentralbank versuchten, sämtlichen Sorgen den Wind aus den Segeln zu nehmen und erklärten, dass sie bereit stehen, um die Märkte "liquide" zu halten - sprich, notfalls Geld in den Markt zu pumpen und an den Leitzinsen zu drehen. Dabei befindet sich Brasilien ohnedies in einer tiefen Rezession.
Schweigegeld an jene, die an Amtsenthebung beteiligt waren
Der Mann, an den die angeblichen Zahlungen gerichtet waren, Cunha, gehört zu Temers PMDB und war bis vergangenen Sommer Parlamentspräsident in Brasilia. Cunha war und ist einer der am besten vernetzten Politiker des Landes. Er war es, der das dubiose Amtsenthebungsverfahren gegen Rousseff initiierte, nachdem ihre Arbeiterpartei (PT) für einer Untersuchung gegen ihn wegen Korruption im Ethikausschuss gestimmt hatte.
Damals hatte Cunha gedroht, dass er eine Menge Leute mit in den Abgrund ziehen werde. Es ist heute klarer denn je, dass die von Cunha und Temer gemeinsam orchestrierte Amtsenthebung Rousseffs vor allem dem Ziel dienen sollte, die Ermittlungen im Petrobras-Korruptionsskandal zu stoppen, denen Rousseff zum Ärger vieler Politiker freien Lauf ließ. Der Vizepräsident Temer leugnete stets, in irgendwelche korrupten Machenschaften verwickelt zu sein, obwohl er von Managern des Baukonzerns Odebrecht beschuldigt wurde, illegale Wahlkampfhilfen des Konzerns erbeten und erhalten zu haben.
Ein weiterer hochrangiger Politiker, dessen Karriere am Mittwochabend zu Ende gehen müsste - wenn es denn mit rechten Dinge zuginge -, ist Aécio Neves von der konservativen Partei PSDB, mit der Temer derzeit die Regierungskoalition bildet. Neves war 2014 im Präsidentschaftswahlkampf Rousseff unterlegen und gehörte seitdem zu ihren schärfsten und immer streng moralisch argumentierenden Kritikern. Auch er hat stets beteuert, sauber zu sein. Ihn filmte die Polizei, wie er umgerechnet 600.000 Euro von Joesley Batista erbittet. Das Geld landete schließlich auf dem Konto eines engen Parteifreundes von Neves, wie die Polizei nachverfolgte. Die neuesten Enthüllungen ergänzen die Untersuchungen der gigantischen Korruptionsaffäre rund um den staatlichen Erdölkonzern Petrobras. Diese beschäftigen die Brasilianer seit nunmehr drei Jahren. Sie haben den Eindruck entstehen lassen, dass das gesamte politische Personal des Landes unisono mit der Wirtschaftselite korrupt und verkommen ist.
Neben Temer werden zurzeit acht seiner Minister, zehn Landesgouverneure und dutzende Senatoren und Abgeordnete verdächtigt, das Gesetz gebrochen zu haben. Sie alle leugnen die Anschuldigungen und sehen keine Gründe, irgendwelche Konsequenzen zu ziehen.