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Der Tag, an dem der Liberalismus starb

Von Walter Hämmerle

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Die Überlebenschancen des Patienten waren ohnehin gering. Die Regierung erlöst ihn nun von seinen Leiden. | Es geschah am frühen Morgen des 28. Novembers 2007. Unmittelbaren Beobachtern war die volle Tragweite der Ereignisse dieses Tages im ersten Moment gar nicht bewusst. Sie ahnten nicht, dass sie Zeugen einer historischen Zäsur geworden waren: Es war der Tag, an dem der Liberalismus in Österreich endgültig zu Grabe getragen wurde. Der Verfassungsausschuss des Nationalrats beschloss im Namen der großen Koalition, die Kammern - und mit diesen die Pflichtmitgliedschaft - in der Verfassung zu verankern.


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Um der Wahrheit genüge zu tun: Die Überlebenschancen des Liberalismus waren hierzulande auch davor schon ziemlich aussichtslos. Endgültig vorbei waren sie aber erst, als die lebenserhaltenden Maschinen an diesem denkwürdigen Mittwoch abgeschaltet wurden. Leiden musste der Patient nicht mehr, seine Verbindungen zur Außenwelt waren zuvor schon praktisch abgestorben.

Entsprechend dem geringen gesellschaftlichen Ansehen des Patienten hielt sich auch die Trauergemeinde in quantitativ bescheidenen Grenzen. FPÖ, BZÖ und das einsam im roten Parlamentsklub sitzende LIF kondolierten pflichtschuldig per Protest-Aussendung unmittelbar nach Bekanntwerden der Absichten. Die Grünen brauchten dafür noch einen Tag länger. Am Tag der endgültigen Beschlussfassung im Parlament wird sich diese Pflichtübung wiederholen. Und das war´s dann. Von angeblich liberalen Geistern bei Rot und Schwarz war nichts zu vernehmen.

Österreich hat damit endlich zu sich selbst gefunden, eine jahrhundertealte politische Entwicklungsgeschichte hat sich finalisiert. Der Kammerstaat wird verfassungsrechtliche Wirklichkeit. Das schlampige Verhältnis, das Politik, Parteien und Interessensvertretungen seit 1945 miteinander pflegen, erhält Absolution und Legitimation in einem Aufwaschen. Es gibt künftig keinen Grund mehr darüber zu jammern, dass die Realität der Sozialpartnerschaft mit keinem Wort in der Verfassung vorkommt.

Es ist dies auch die finale Niederlage des dritten Lagers, das mit Jörg Haider vor zwanzig Jahren angetreten war, die rot-schwarze Verbänderepublik zu stürzen und auf ihren Ruinen das Schreckgespenst einer Dritten Republik zu errichten. Liberale Beweggründe für diesen Kammersturm waren zu dieser Zeit allerdings schon längst zu Spurenelementen verkommen. Selbst die Grünen arrangierten sich im Laufe ihrer Entwicklung mit dem Kammerstaat.

SPÖ und ÖVP sichern sich mit ihrer einsamen und - bedenkt man, dass das Bundeskanzleramt die Idee noch vor wenigen Tagen, als ein erster Versuch scheiterte, als "vom Tisch" bezeichnete - überraschenden Entscheidung Mitsprache in jeder künftigen Regierung. Egal, ob sie darin nominell vertreten sind oder nicht. Der Spruch von SPÖ und ÖVP als den beiden quasi "natürlichen Regierungsparteien" bekommt vor diesem Hintergrund einen recht bitteren Beigeschmack.