Schon die ersten Tage von Joe Bidens Präsidentschaft zeigen, wie bedrohlich der Taiwan-Konflikt ist. Die USA sind Taiwans Schutzmauer - die Volksrepublik China will diese offenbar durch massive Aufrüstung zum Einsturz bringen.
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Dass die "USS Curtis Wilbur" diese Woche in der Taiwanstraße auftauchte, gefiel der Volksrepublik China gar nicht. Lautstark beklagte sich Peking, dass die Präsenz des Lenkwaffenzerstörers der US Navy die regionale Stabilität untergraben würde. Die USA zeigten sich in ihrer Reaktion aber unbeeindruckt: Es habe sich lediglich um eine Routinefahrt gehandelt, hieß es aus Washington.
Das Manöver der Vereinigten Staaten kann allerdings auch als nächster Akt des Kräftemessens zwischen den beiden Ländern gesehen werden: So waren in den Tagen zuvor chinesische Bomber und Kampfflugzeuge in Taiwans Luftraum eingedrungen. Washington versteht sich als Schutzmacht von Taiwan, und Peking ließ damit gleich einmal zum Amtsantritt des neuen US-Präsidenten Joe Biden die Muskeln spielen.
Dieser machte wiederum von Anfang an klar, dass er China als strategischen Konkurrenten ansieht. Der Ton und die konkreten Maßnahmen mögen sich unter der neuen US-Administration ändern - die Ausrichtung der China-Politik bleibt dieselbe wie unter Donald Trump. "China auszustechen, wird für unsere nationale Sicherheit in den nächsten Jahrzehnten entscheidend sein", sagte nun der designierte CIA-Direktor William Burns vor dem Geheimdienstausschuss des Senats.
Die Taiwan-Frage ist dabei wohl der gefährlichste Konflikt zwischen der etablierten Großmacht USA und der aufstrebenden Großmacht China. Denn nirgendwo sonst ist die Wahrscheinlichkeit so hoch, dass die beiden Staaten in einer ernsthaften militärischen Auseinandersetzung aufeinanderprallen.
Die KP ist sich einig: Taiwan muss einverleibt werden
Die Insel, auf die nach dem verlorenen Bürgerkrieg gegen die Kommunisten Ende der 1940er Jahre die chinesischen Nationalisten geflohen sind, wird zu mehr als 90 Prozent von Chinesen bewohnt. Sie ist de facto unabhängig und im Gegensatz zu China mit seinem Ein-Parteien-System eine gefestigte Demokratie. Doch Chinas Kommunistische Partei sieht Taiwan als abtrünnige Provinz an und will eine Wiedervereinigung. Die Machthaber in Peking sind dabei offenbar auch wenig bekümmert von dem Umstand, dass eine große Mehrheit von Taiwans Bevölkerung eine Wiedervereinigung unter den gegenwärtigen Umständen ablehnt.
Die inneren Dynamiken in der Volksrepublik weisen nicht darauf hin, dass sich diese Situation ändern wird. Ganz im Gegenteil: So viele Fraktionen es innerhalb der KP auch geben mag, so verschieden auch die Ansichten zur künftigen Wirtschafts- und Außenpolitik sein mögen, in einem Punkt, darauf verweisen renommierte China-Beobachter immer wieder, sind sich die Parteikader einig: Dass Taiwan Teil der Volksrepublik werden muss - und ein Militärschlag, wenn die Situation günstig erscheint, eine realistische Option ist.
Taiwans Eingliederung ist dabei Teil eines umfassenderen strategischen Denkens, das die Volksrepublik langfristig als neue Weltmacht sieht. Und kaum etwas würde KP-Führer Xi Jinping mehr in die Nähe und Nachfolgeschaft von Staatsgründer Mao Tse-tung rücken als eine Lösung der Taiwan-Frage in Pekings Sinne.
Dessen ist man sich auch in Taiwan bewusst. Die offizielle Position lautet: Taiwan ist jederzeit zu Gesprächen, allerdings auf Augenhöhe und ohne Vorbedingungen, mit Peking bereit - schließt aber gleichzeitig die Möglichkeit eines Krieges nicht aus. Deshalb versucht die Insel, so weit es geht, mit der Volksrepublik militärisch mitzuhalten.
Allerdings ist Taiwans Politikern klar, dass sie im Kriegsfall ohne ausländische Hilfe kaum eine Chance hätten. Taiwans Streitkräfte könnten höchstens den Preis für China in die Höhe treiben und Zeit gewinnen, bis Verbündete eingreifen. Aber ohnedies zählen die Taiwaner auf die Sicherheitsgarantie der USA und das derzeit noch mit gutem Grund. Würde Washington Taiwan fallenlassen, wäre das ein verheerendes Signal an seine Verbündeten in der Region und würde die Machtbalance im pazifischen Raum massiv zugunsten der Volksrepublik verschieben.
Geografische Nähe ist ein großer Vorteil für China
Allerdings beunruhigt viele Beobachter eine Entwicklung. "China hat in den vergangenen Jahren seine Schiffskapazitäten enorm ausgebaut, sodass die Volksrepublik in einem regionalen Szenario aufgrund ihrer geografischen Nähe den USA wohl überlegen wäre", sagt Christian Wirth vom deutschen GIGA-Forschungsinstitut, der sich mit der Sicherheitsarchitektur in der Region befasst. "Die USA sind mit ihren Basen zu weit weg von Taiwan, als dass sie mit geballter Kraft intervenieren könnten."
Auch der frühere australische Premier Kevin Rudd schrieb in einem viel beachteten Aufsatz im Journal "Foreign Affairs", dass China seine militärischen Kapazitäten mit dem Ziel aufbaue, bis 2027 den USA in allen militärischen Fragen, die Taiwan betreffen, überlegen zu sein. "Peking ist zu dem Schluss gekommen, dass die USA keinen Krieg führen würden, den sie nicht gewinnen könnten", schreibt Rudd. Nur drohe sich hier Xi zu verspekulieren, betont der studierte Sinologe. Nicht zuletzt deshalb, weil die Reaktion der USA auch von unvorhersehbaren innenpolitischen Dynamiken in Washington abhängt.
Alternatives Drohszenario zum militärischen wird überlegt
Tatsächlich gibt es aber in den USA bereits Gedankenspiele, wie man zum Schutze Taiwans eine alternative Drohkulisse zur militärischen aufbauen könnte. Angedacht werden dabei etwa wirtschaftliche Sanktionierungen, die Peking im noch immer vom US-Dollar dominierten Welthandel empfindlich treffen sollen.
Allerdings ist China derart eng mit zahlreichen Volkswirtschaften verwoben, dass fraglich ist, inwieweit hier Peking glaubhaft eingeschüchtert werden kann. So hat sich China durch seine Seidenstraße-Initiative, bei der es weltweit Infrastrukturprojekte vorantreibt, mit zahlreichen Ländern enger vernetzt, und der riesige, wachsende Markt Chinas ist für westliche Exporteure - von Autos bis zu Skigondeln - mehr oder weniger unverzichtbar.
Die Taiwan-Frage bleibt somit ein unabsehbares Konfliktfeld. Die meisten Beobachter sind sich einig, dass zwar kurzfristig die Kriegsgefahr eher gering ist. "In den vergangenen Jahren 20 Jahren haben sich aber mit jeder Krise die Spannungen derart erhöht, dass die Gefahr immer größer wird, dass der Konflikt mittelfristig eskaliert", sagt Wirth. Und dann drohe nicht ein kurzer regionaler Konflikt, sondern ein Flächenbrand, der auch andere Länder, etwa das mit den USA und Taiwan verbündete Japan, in einen Krieg hineinziehen könnte.