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Der teure Weg zurück

Von Julian Kern aus Straßburg

Wirtschaft

Die Refinanzierung des EU-Wiederaufbauplans sorgt wegen der hohen Zinsen für Probleme.


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Sich das erste Mal gemeinsam verschulden. Eine Überlegung, worüber sich junge Familien oftmals monatelang den Kopf zerbrechen. So viel Zeit hatten die Verantwortlichen auf europäischer Ebene im Sommer 2020 aber nicht. An einem der längsten Gipfel in der EU-Geschichte verabschiedeten sich europäische Spitzenpolitiker von lange geltenden Dogmen.

EU-weit drohte aufgrund der Corona-Pandemie der Einbruch der EU-Wirtschaftsleistung um mehr als 8 Prozent. Das brachte selbst Angela Merkel, die sich als deutsche Kanzlerin mehr als 15 Jahre lang gegen gemeinsame Schulden aussprach, dazu, dem 750 Milliarden Euro schweren EU-Aufbauplan "NextGeneration EU" (NGEU) zuzustimmen. Die Refinanzierung dieses EU-Aufbauplans führt aufgrund der hohen Inflation und des angehobenen Leitzinses nun aber zu Problemen.

Um höhere Beiträge für die Mitgliedstaaten zu verhindern, wurden für die Tilgung des 750 Milliarden Euro schweren Pakets eine Abgabe auf Plastikmüll ab 2021, eine Digitalsteuer und eine Einfuhrgebühr (CBAM) auf Produkte aus Drittstaaten mit geringeren Umweltauflagen beschlossen. Letztere soll ab Oktober 2023 bis Ende 2025 schrittweise implementiert werden.

Die EU-Abgeordneten befürchten nun aber, dass die dadurch neu generierten Eigenmittelbeträge alleine nicht ausreichen könnten, um alle Rückzahlungen und Fremdkapitalkosten von NGEU zu decken. Bis zum Jahr 2058 sollen diese durchschnittlich mindestens 15 Milliarden Euro pro Jahr betragen. Dieser Betrag basierte allerdings auf der Annahme, dass die Zinssätze für die Kreditaufnahme schrittweise von 0,55 Prozent im Jahr 2021 auf 1,15 Prozent im Jahr 2027 ansteigen. Aktuell liegen die Zinssätze jedoch bei rund 3 Prozent. Aufgrund dessen sollen nun neue Maßnahmen zur Steigerung der EU-Eigenmittel beschlossen werden.

17 Milliarden Euro durch neue Maßnahmen

"Maßnahmen, die Eigenmittel zu erhöhen, sind schon lange im Gespräch, die Plastiksteuer haben wir schon und jetzt sind wir auf der Suche nach neuen Ideen, wie wir zu Geld kommen. Da sind jetzt Vorschläge auf dem Tisch wie die Finanztransaktionssteuer, CBAM (CO2-Grenzausgleichsmechanismus, Anm.), die Körperschaftssteuer, das Besteuern von Kryptowährungen oder auch die Digitalsteuer", sagt die EU-Abgeordnete Angelika Winzig, Delegationsleiterin der ÖVP und Mitglied im Haushaltsausschuss. Dadurch möchte die Kommission bis zu 17 Milliarden Euro jährlich lukrieren.

Mit der Umsetzung des entsprechenden Fahrplans ist man allerdings in Verzug, sagt Margit Schratzenstaller, Budget- und Steuerexpertin des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo). Zum einen seien die ab Anfang 2023 geplante Widmung eines Teils der Einnahmen aus dem Emissionshandel sowie dem CO2-Grenzausgleichsmechanismus noch nicht beschlossen. "Zum anderen geht die Umsetzung der globalen Mindeststeuer für Unternehmen, die zum Teil ebenfalls als EU-Eigenmittel dienen soll, relativ langsam voran", sagt die Ökonomin.

Auswirkungen für Österreich noch nicht absehbar

Welche Auswirkungen die jeweiligen Maßnahmen auf die Mitgliedsstaaten haben werden, sei noch nicht abschätzbar sagt die Budgetexpertin des Wifo. Einblicke, was eine Finanztransaktionssteuer für Österreich bedeuten könnte, gibt hingegen die ÖVP-Delegationsvorsitzende Winzig. "Wir sind in Österreich ja sehr stark bankenfinanziert und das kann natürlich dazu führen, dass das die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) noch stärker abschreckt, sich am Kapitalmarkt zu beteiligen und nur von Banken abhängig zu sein, ist auch nicht die beste Lösung."

Ankommen wird es laut Winzig auf die genaue Ausgestaltung der Finanztransaktionssteuer, "sodass für die KMUs weiterhin ein Zugang zum Kapitalmarkt bleibt". Beim CO2-Grenzsteuerausgleich, dessen Ziel das Verhindern der Verlagerung von Treibhausgasemissionen in Nicht-EU-Länder ist, befürchtet die Delegationsleiterin hingegen, dass diese keine große Einkommensquelle wird. "Wenn Güter geliefert werden, bei denen der CO2-Fußabdruck hoch ist, dann wird das besteuert, und ich glaube, dass China und andere Länder, die hier einliefern, bald mit Gegenzöllen oder Steuern reagieren werden."

Neue gemeinsame Schulden schwer vorstellbar

Dass die EU künftig wieder gemeinsam Schulden aufnimmt, kommt für Winzig nur in Ausnahmefällen infrage. "Das Programm NextGeneration EU muss ein einzigartiges Programm bleiben, man hört hier im Parlament schon, dass man in diese Richtung weitertun sollte. Das war das erste Mal, und ich glaube, das sollte nur für Krisenfälle infrage kommen." Der volle Fokus liege nun darauf, Wege zu finden, die Schulden zurückzuzahlen, so Winzig. Gelinge dies nicht, müssten laut Budgetexpertin Schratzenstaller andere Ausgaben im EU-Budget gestrichen werden.

Zudem könnte sich das Kreditrating der EU verschlechtern. Entsprechend gering dürfte dann der Zuspruch der Mitgliedsländer sein, für künftige Krisenprogramme wieder Schulden aufzunehmen, meint die Ökonomin. Zu beobachten bleibe außerdem, ob das Programm "NextGeneration EU" den Erwartungen gerecht werde, "also gleichzeitig Wachstum und Beschäftigung zu stärken und signifikant zum grünen und digitalen Wandel in der EU beizutragen. Sollte dies gelingen, wäre das natürlich eine Motivation, auch künftig Kriseninterventionen auf EU-Ebene durch gemeinsame Schulden zu finanzieren", sagt Schratzenstaller.

Finanzielle Schlagkraft der EU beschränkt

Welchen Einfluss der Wiederaufbaufonds auf die heimische Wirtschaft im Laufe der Corona-Pandemie hatte, lasse sich nicht endgültig beantworten. Generell sei die finanzielle Schlagkraft der EU zur Bewältigung von Krisen derzeit aber beschränkt, meint die Ökonomin. "Das EU-Budget beträgt nur ein Prozent der Wirtschaftsleistung, und die Mittel sind größtenteils mittelfristig für bestimmte Verwendungszwecke gebunden. Es gibt im Rahmen des EU-Budgets und ergänzend dazu einige finanzielle Instrumente, mit denen kurzfristig im Falle von Krisen finanzielle Mittel mobilisiert werden können, allerdings nur in relativ geringem Umfang." Der Großteil der Krisenbewältigungsmaßnahmen werde auch künftig auf Ebene der Mitgliedstaaten gesetzt werden. "Ergänzende Maßnahmen auf EU-Ebene haben durchaus Vorteile, sodass dringend über entsprechende Instrumente diskutiert werden sollte." Ein solches Instrument könnte demnach die Einrichtung eines Krisenbewältigungsfonds sein, "für dessen Finanzierung im Bedarfsfall rasch zusätzliche Eigenmittel mobilisiert werden können", sagt die Ökonomin.

Unabhängig von der Schuldentilgung sei es laut Schratzenstaller notwendig, weitere Eigenmittelquellen zu erschließen. "Auch deshalb, weil das derzeitige Eigenmittelsystem der EU wichtige EU-Ziele überhaupt nicht unterstützt. In diesem Sinne sollten vor allem Eigenmittel eingeführt werden, die zu EU-Prioritäten beitragen, insbesondere zum Klima- und Umweltschutz."

Denkbar seien laut der Wifo-Ökonomin Abgaben auf den Flugverkehr oder - wie in den Maßnahmen enthalten - auf den sehr energieintensiven Kryptowährungen. Die Ökonomin führt weitere Maßnahmen ins Treffen und appelliert, bei der Plastikmüllsteuer aus dem Jahr 2021 anzusetzen. "Möglich wären auch Eigenmittel, die auf der Recyclingquote von Biomüll oder der Menge von Lebensmittelabfällen beruhen und damit entsprechende Maßnahmen der EU-Mitgliedsländer anregen könnten."

Dieser Artikel ist im Rahmen einer Fortbildung des fjum Wien entstanden. Die Reisekosten wurden vom EU-Parlament übernommen.