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Laut Statistik steht jeder Österreicher einmal in seinem Leben vor Gericht. Anders Gert Lagler: Er ist vor 22 Jahren in die Mühlen der Justiz geraten und hat inzwischen mehr als 200 Straf-, Zivil- und Verwaltungsverfahren bestritten. Dreimal zog er vor den Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg und bekam Recht. Jetzt fordert er Schadenersatz von der Republik.
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Am 20. April 1982 warf den damaligen Finanzberater und GmbH-Geschäftsführer eine Anzeige aus der Bahn. Ein Mandant hatte den Vorwurf erhoben, Lagler habe eine Versicherungsprämie in Höhe von 40.000 Schilling nicht an die Versicherung abgeführt. Auf Dienstreise in Vorarlberg wird Lagler wegen Fluchtgefahr festgenommen. Ein Monat verbringt er in Feldkirch im Gefängnis. Seinen Anwalt darf er während dieser Zeit nicht anrufen, "auch was mir vorgeworfen wird, haben mir die Beamten nicht gesagt".
Nach einem Monat wird Lagler "in Handschellen, bewacht von einem Beamten im Zug" nach Wien überstellt. "Heute lache ich darüber, aber damals war mir zum Heulen." Das erste Verhör durch die Wirtschaftspolizei gerät gleich zum Fiasko. Lagler: "Die haben mich zusammengeschlagen, weil ich kein Geständnis ablegen wollte." Weiter U-Haft, diesmal am Landesgericht für Strafsachen Wien. Der Vorwurf lautet auf schweren Betrug bei der Vermittlung von Verlustbeteiligungen und steuerbegünstigten Wertpapieren sowie fahrlässige Krida. Dazu kämen nicht weitergeleitete Versicherungsprämien. Gesamtschaden laut Polizei: ca. 600.000 Schilling.
Noch während Lagler in Feldkirch einsitzt, feiert die Polizei den Fahndungserfolg in einer Pressekonferenz, Lagler wird unter Nennung des vollen Namens als Millionenbetrüger diskreditiert. Geschädigte werden aufgerufen, sich bei der Sicherheitsdirektion Wien zu melden. Am nächsten Tag berichten die Medien, ebenfalls mit vollem Namen und Foto. "Trotz dieser Vorverurteilung haben sich von meinen damals rund 1.000 Mandanten nur 26 dem Verfahren angeschlossen", beteuert Lagler.
Nach zwei Monaten kommt Lagler frei, ihm werden jedoch ein Berufsverbot und eine Kontosperre auferlegt. "Ich habe damals vom E-Werk nicht einmal Strom bekommen." Gerade noch ein Monatsgehalt von 200.000 Schilling, rutscht Lagler unvermittelt in die existentielle Krise. Zwangsversteigerung des Hauses in Hietzing, familiäre Probleme. Später ein Herzinfarkt. Aufgrund eines ersten Gutachtens wird 1983 der Anklagepunkt Betrug fallen gelassen. Lagler erinnert sich: "Der Staatsanwalt hat damals zu mir gesagt: Bekennen Sie sich schuldig bei der fahrlässigen Krida und akzeptieren Sie eine geringe Strafe. Sonst werden wir so lange weiter suchen, bis etwas Strafbares herauskommt." Lagler schlägt aus, er will sich zu keiner Schuld bekennen, die er nicht auf sich geladen hat. Auch hieße ein Schuldeingeständnis, dass er die Sachverständigenkosten, die sich zu diesem Zeitpunkt auf 500.000 Schilling belaufen, übernehmen müsse.
In der Folge spitzt sich die Situation zu. Richter Friedrich Zeilinger - der den Fall gegenüber der "Wiener Zeitung" heute "sicher nicht" kommentieren will - lässt weitere Gutachten einholen und die Zurechnungsfähigkeit Laglers überprüfen. Lagler kontert mit Amtshaftungsklagen und strafrechtlichen Anzeigen gegen Behördenvertreter. Lagler: "Die Leute glauben, dass die Behörden immer korrekt und seriös arbeiten. Aber das stimmt nicht. Wenn einer einen Fehler macht, decken ihn die anderen." Erst im März 1989 findet im Strafverfahren die erste Hauptverhandlung statt. Das Urteil lässt weiter auf sich warten, woraufhin sich Lagler beim EGMR wegen überlanger Verfahrensdauer beschwert.
Am 20. Dezember 1996 - 14 Jahre nach der ersten Anzeige - endet der Prozess mit Freispruch. Laglers Kampf ist aber noch lange nicht zu Ende. Zwei Amtshaftungsklagen und der Prozess um die Haftentschädigung laufen bis heute. Jetzt geht es um den Ersatz der Schäden, die während des Strafprozesses anfielen: Mehr als 1,7 Mio. Euro (v.a. Verdienstentgang). Lagler: "Bisher habe ich von der Republik keinen Groschen bekommen. Nicht einmal die Kosten des Strafverfahrens." Für den Oktober ist die nächste Verhandlung im Haftentschädigungsverfahren angesetzt.