Zum Hauptinhalt springen

Der tödliche Kreislauf der Rache

Von Vera Macht

Politik

Bange Frage, ob Milizen die neue Präsidentin Samba-Panza akzeptieren.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Bangui. Ein Flüchtlingslager mit hunderttausend Menschen wirkt viel kleiner, als man meinen könnte. Die Menschen dichtgedrängt, schreiende Babys zwischen provisorischen Zelten und schmutzigen Planen, es ist heiß, ein beißender Geruch liegt in der Luft. Das größte Flüchtlingslager Banguis, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik, liegt direkt am Flughafen.

Dutzende Menschen stehen am Rande des Rollfeldes, sehen Flugzeuge landen und abfliegen, während sie selbst warten, auf Nahrung, auf eine Rückkehr in ihre Häuser, auf Frieden. Junge Männer prügeln sich um das Wenige, was die UNO in der gefährlichen Sicherheitslage verteilen kann.

Im März vergangenen Jahres wurde in dem Krisenstaat der christliche Präsident François Bozizé von einer großteils muslimischen Rebellengruppe gestürzt, der sogenannten Séléka, die Michel Djotodia als Präsidenten einsetzte. Als dieser die Milizen nicht mehr bezahlen konnte, plünderten die Kämpfer die Häuser der christlichen Bevölkerungsmehrheit, mordeten und vergewaltigten. Doch auch die Christen haben sich bewaffnet. Ihre Milizen heißen Anti-Balaka, auch sie haben Gräueltaten unter Muslimen angerichtet, sogar Gerüchte von Kannibalismus machen hier die Runde.

"Die Menschen hungern", sagt der Flüchtlingshelfer

Nun sind in der Zentralafrikanischen Republik fast eine Million Menschen auf der Flucht, im Busch und in Flüchtlingslagern. Die Hälfte der Bewohner Banguis musste ihre Häuser verlassen, sie campen auf dem Flughafen, in Moscheen und Klöstern.

Pater Dawe-Bienvenue-Gustave leitet ein solches Flüchtlingslager, aus der Not heraus. Als die Kämpfe begannen, öffnete er die Tore seines Klosters für jeden, der kam. Weit abgelegen liegt es, zwischen holprigen Feldwegen und den verlassenen Hütten eines christlichen Geisterdorfs. Fast 4000 Menschen haben hier Zuflucht gesucht, zusammengedrängt zwischen Schuppen und Kirchenmauern. Das Welternährungsprogramm war zwar zwei Mal hier, das ist aber nicht genug für 4000 Flüchtlinge. "Die Menschen hungern hier", sagt Gustave, er klingt erschöpft.

Doch seit Mitte Jänner der von den Christen gehasste Präsident Djodotia unter dem Druck der internationalen Gemeinschaft zurückgetreten ist, ist man vorsichtig optimistisch. Das Parlament wählte kürzlich die Bürgermeisterin Banguis, Catherine Samba-Panza, zur Präsidentin. Samba-Panza sprach in ihrer Antrittsrede von freien Wahlen, Frieden und Versöhnung. Doch 70 Prozent des Parlaments wurden noch unter Dojodia eingesetzt, auch Samba-Panza halfen die Séléka in ihr Amt als Bürgermeister.

Deshalb steht zu befürchten, dass die Anti-Balaka die Wahl Samba-Panzas nicht akzeptieren. Sowohl Anti-Balaka als auch Séléka seien jedoch ihre Söhne, betont Samba-Panza in ihrer Antrittsrede: "Ich werde wie eine Mutter für jeden hier sein."

Die EU bereitet eine Militärintervention vor, Frankreich hat schon 1600 Soldaten entsandt, um dem Morden Einhalt zu gebieten. Dazu kommen rund 6000 Soldaten der Afrikanischen Union. Entwaffnung der verschiedenen Milizen, so lautet ihr Auftrag.

Das ist genug Militär, um Präsenz zu zeigen, auf den Straßen wimmelt es förmlich von Soldaten und Panzern, auf den wichtigsten Wegen sind Straßensperren errichtet. Doch Ruhe herzustellen, das vermögen sie nicht. Jede Nacht gibt es Tote, Häuser brennen, junge Christen, oft auf Drogen, sinnen auf Rache.

Ein paar junge, christliche Männer lehnen lässig an einer schmutzigbraunen Hütte und rauchen. Man erkennt die Kämpfer der Anti-Balaka-Milizen leicht an den zahlreichen Amuletten und Totems, die sie um ihren Hals und ihre Arme geschlungen haben. Sie glauben, diese würden ihnen Schutz bieten, ihre Haut undurchdringlich machen für die Waffen der Séléka.

Ein Pfarrer und ein Imam rufen zu Frieden auf

Anti-Balaka, das heißt übersetzt so viel wie Anti-Kalaschnikow-Kugel. "Wie unsere Magie genau wirkt, das behalten wir für uns", lacht François, ein junger Anti-Balaka. Nein, gekämpft habe er noch nicht. Aber er wird kämpfen, wenn sein Anführer ihn ruft. "Für mein Land", sagt er und lacht wieder. Die Anti-Balaka sind zahlreicher als die Séléka, doch während diese mit modernen Waffen ausgerüstet sind, kämpfen die Anti-Balaka mit veralteten Jagdgewehren, mit Macheten und Messern. Und mit Kindersoldaten.

Imam Omar Kobine Layama und Pfarrer Jesus Demele, Assistenz des Erzbischofs von Bangui, empfangen ihre Besucher unter Palmen am riesigen Fluss Oubangui, der Zentralafrika vom Kongo trennt. Die beiden spirituellen Oberhäupter des Landes betonen, dass der Konflikt nicht religiöser Natur sei. "Muslime und Christen haben in diesem Land immer friedlich zusammengelebt. Es geht hier um Geld, um Rohstoffe", sagt Imam Lamaya. Pfarrer Demele appelliert an den Grundsatz beider Religionen. "Gott ist ein Gott des Friedens, das verkünden wir hier jeden Tag im lokalen Radio", sagt er. Doch in einem Land, in dem die Analphabetenquote bei rund 50 Prozent liegt, in dem auch die Naturreligionen noch sehr großen Einfluss haben, ist es für die religiösen Führer schwer, die Menschen im Busch und in den Steppen zu erreichen.

Ob sie optimistisch sind, jetzt da es eine neue Präsidentin gibt? Pfarrer Demele lächelt. "Wir Männer des Glaubens müssen optimistisch sein."