Kein Zaun wird die Menschen auf der Flucht, die die Verzweiflung treibt, aufhalten können.
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Sie träumen einen Traum. Den Traum vom Krieg in der Ferne, den undurchdringlichen Grenzen. Den Traum von der Insel der Seligen, die unberührt von den Stürmen, die um Europa toben mögen, im Herzen des Kontinents ihr friedliches Dasein pflegt.
"Natürlich" müsse der Kampf gegen den IS von Europa verstärkt geführt werden, meinte Außenminister Sebastian Kurz in der "ZiB2" im ORF, "natürlich" von den Ländern, die die Kapazitäten dazu hätten, wir könnten ja Schutzwesten für die Bevölkerung liefern. Sterben sollen die Söhne der anderen. "Natürlich" müsse Griechenland seine Grenzen sichern, sonst gefährde es ja den europäischen Gedanken eines Europas ohne Grenzen. Die Antwort auf die Frage, wie denn das gehen solle, 150.000 Menschen aufzunehmen, wenn Österreich sich mit bisher 30.000 schon überfordert zeigt, blieb der Außenminister schuldig.
Doch Sebastian Kurz ist nicht der einzige Träumer im Land. Von geschlossenen Grenzen wird auch im Burgenland geträumt. Dem Zaun aus Nato-Stacheldraht, der am Montag in Ungarn fertiggestellt werden soll, wird Verständnis entgegengebracht, der Assistenzeinsatz des eigenen Bundesheeres an der Grenze wird beschworen. Sie träumen von der Abschottung.
Doch Träume sind Schäume, wenn sie der Realität entbehren. Kein Zaun, kein Grenzwall wird die Menschen auf der Flucht, die die Verzweiflung treibt, aufhalten können. Europa ist längst abgeschottet. Kein legaler Weg steht den Flüchtenden offen, sie sind darauf angewiesen, sich Schleppern in die Arme zu werfen und - wie wir auf der A4 in Parndorf schmerzlich erleben mussten - ihr Leben zu riskieren. Jeder Zaun und jede Mauer haben nur den Effekt, die Preise und Gewinne der Schlepper zu steigern.
Niemand getraut, sich den Traum der geschlossenen Grenzen konsequent weiterzuträumen. Denn natürlich wissen wir, wie Grenzen konstruiert werden müssen, damit sie unüberwindbar sind. Die Grenze zwischen der BRD und der DDR war eine solche, nahezu unüberwindbar mit ihren zwei Mauern, der Hundefreilaufanlage, dem Spurensicherungsstreifen, den elektrischen Zäunen und Lichtanlagen, die die Nacht zum Tage machten. Doch unüberwindbar wurde diese Grenze einzig und allein durch den Schießbefehl.
Natürlich denkt niemand in Österreich, schon gar nicht Sebastian Kurz oder Hans Niessl, an solche Grenzanlagen. Anders als andere europäische Politiker, wie der tschechische Vizepremier Andrej Babis, der in seinen Fieberträumen schon vom Nato-Einsatz an den europäischen Außengrenzen fantasiert. Warum aber kommen dann Vorschläge ohne Verwirklichungschancen immer wieder von österreichischen Politikern? Es scheint nicht darum zu gehen, Lösungsvorschläge zu machen, sondern politische Botschaften auszusenden, die Lösungskompetenz nur vorgaukeln, mehr verschleiern als weiterführen und Applaus von der Seite der Vereinfacher erheischen.
Was Österreich braucht, ist Realitätssinn, wie mit denen, die so oder so hierher kommen werden, menschlich umgegangen werden kann. Ein Selbstbewusstsein, das zu seiner humanitären Tradition steht und seine Nachbarn daran erinnert, wie viel Solidarität sie erfahren haben. Was Österreich braucht, sind wache Politiker und keine Träumer, die halbgare Botschaften ins Land senden.
Der Grad zwischen Traum und Alptraum ist schmal.
Michael Chalupka ist Direktor der Diakonie Österreich und Vorsitzender des Kuratoriums des Diakonie Flüchtlingsdienstes, der in den Bereichen Wohnen, Integration, Sozial- und Rechtsberatung, sowie in der Traumatherapie für Flüchtlinge in Österreich arbeitet.