Israel stemmt sich mit aller Kraft gegen Vorstoß.
| EU ringt um eine einheitliche Linie.
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Ramallah. Für einen unabhängigen Staat kämpfen die Palästinenser seit Jahrzehnten, nun soll der Traum zumindest ein Stück weit Wirklichkeit werden. Am Montag will Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon jenes Schreiben überreichen, das Israels Regierung in Rage versetzt: den Antrag auf staatliche Anerkennung durch die Vereinten Nationen. Auf dem Papier existiert der Staat Palästina bereits seit 1988, als ihn PLO-Chef Yasser Arafat gemeinsam mit dem palästinensischen Exilparlament in Algier ausgerufen hat. Damals wurde er von 122 - vorwiegend kommunistischen oder UdSSR-affinen - Staaten anerkannt, geändert hat sich an der rigiden israelischen Besatzung aber nichts.
Ein ähnliches Szenario befürchten Beobachter auch diesmal. Dennoch gibt sich die Palästinenserführung offiziell fest entschlossen, vor der UNO-Vollversammlung, die in New York ab Dienstag zu ihrer Jahrestagung zusammentritt, die Anerkennung des Palästinenserstaates durch die 193 Mitgliedsstaaten zu beantragen - "auch wenn die USA ihre Drohung wahr machen und ihre jährliche Finanzhilfe von 470 Millionen Dollar streichen", wie Abbas kürzlich in der jordanischen Zeitung "Al Rai" betonte. Es ist allerdings fraglich, ob er tatsächlich so weit gehen wird. Denn für die volle UNO-Mitgliedschaft eines Staates bedarf es der Zustimmung des UN-Sicherheitsrates - und dort hat Washington bereits ein unwiderrufliches Veto angekündigt. Auch einige EU-Länder, allen voran Deutschland, Italien und die Niederlande, stehen einer einseitigen Staatsausrufung Palästinas nahezu feindlich gegenüber. Sie beharren auf den Sanktus Israels. Berlin unterstütze zwar weiterhin das Ziel eines lebensfähigen palästinensischen Staates, meinte Außenminister Guido Westerwelle jüngst während seines Jordanien-Besuchs. Dieser könne aber nur das Ergebnis von Friedensverhandlungen mit der israelischen Regierung sein, stellte der FDP-Politiker klar. Man sei gut beraten, jegliche Schritte zu vermeiden, die Fortschritte auf dem Weg zur Zwei-Staaten-Lösung erschweren würden.
Für Israel sind Worte wie diese Wasser auf seine Mühlen. Nicht aber für alle Mitgliedsländer der Europäischen Union: Spanien hat bereits vor Monaten angekündigt, der Bitte um Anerkennung des Palästinenserstaates nachzukommen, Frankreich und Großbritannien stellten ihre Zustimmung zumindest in Aussicht. Und in Deutschland klaffen die Vorstellungen von Politik und Öffentlichkeit weit auseinander. Laut einer YouGov-Umfrage unterstützen 84 Prozent der Bevölkerung einen unabhängigen Staat Palästina.
Um eine einheitliche Position der EU-27 bemüht sich hinter den Kulissen die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton seit Wochen - vergeblich.
Gleichzeitig versucht sie, die Palästinenserführung mit Nachdruck zu einem Kompromissvorschlag zu bewegen. Dieser lautet: Die Palästinenser sollen den Antrag auf Anerkennung als 194. UN-Mitgliedsstaat fallen lassen und sich stattdessen mit einer Aufwertung ihres bisherigen Beobachterstatus begnügen. Palästina bekäme permanenten Beobachterstatus und würde als Nichtmitgliedsstaat anerkannt - vergleichbar mit dem Vatikan. Dafür reicht eine Mehrheit in der Generalversammlung, eine Zustimmung des Sicherheitsrats ist nicht erforderlich. Die Palästinenser wären in allen UN-Organisationen und -Gremien vertreten, in der Vollversammlung dürften sie das freie Wort ergreifen - doch damit hätte es sich auch schon mt den Privilegien.
Klageverbot?
Einigen EU-Ländern wäre aber auch das schon zu viel. Im Tausch für die einhellige Zustimmung der EU-27 in der UNO-Vollversammlung sollen die Palästinenser eine Garantieerklärung abgeben, wonach sie gegen Israel keine Klage beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag einreichen werden.
Dass der Palästinenserpräsident dieser Forderung nachkommt, ist unwahrscheinlich. Ebenso fraglich ist, ob er dem Druck Europas nachgibt und jenen Passus aus dem Antragsbrief streicht, der die Anerkennung des Palästinenserstaates "in den Grenzen von 1967" präjudiziert - also vor der israelischen Okkupation des Westjordanlandes und des Gaza-Streifens im Zuge des "Sechs-Tage-Krieges". Für Israel gehört - ebenso wie für seine engsten Verbündeten - die Grenzziehung zur Verhandlungsmasse von Nahost-Friedensgesprächen, die Israel selbst verhindert, weil es die jüdischen Siedlungsblöcke im Westjordanland und in Ostjerusalem dem jüdischen Staat zuschlagen will.
Sollte Palästinenserpräsident Abbas in heiklen Streitpunkten nachgeben, hätte das einen Aufschrei zur Folge und würde ihn innenpolitisch unter Druck bringen. Denn das palästinensische Volk hat die Hoffnung auf konstruktive Friedensverhandlungen mit Israel längst aufgegeben. Den letzten Anlauf ließ der israelische Premier Benjamin Netanyahu im Vorjahr während der Verhandlungsrunde ins Leere laufen, indem er einen Baustopp für Siedlungen verweigerte. Auch frühere Regierungen legten wenig Verve an den Tag, um eine für beide Seiten akzeptable Lösung des seit 1947 schwelenden Nahost-Konflikts zu finden. Spielen auf Zeit ist die Devise. Die Gegner des palästinensischen Vorstoßes um staatliche Anerkennung täten sich deshalb auch schwer, stichhaltige Gegenargumente zu liefern, meinen die Befürworter. Denn das Drängen auf Friedensgespräche verhalle in Israel ungehört.
"Einzige Option"
"Da ist kein Platz mehr für Verhandlungen. Der Gang vor die UNO ist unsere letzte Option", meint der palästinensische Demokratieaktivist Mustafa Bargouthi. "Wir werden nicht für den Rest unserer Zeit Sklaven der israelischen Apartheid bleiben. Wenn der Südsudan als eigener Staat anerkannt wurde, sollten auch die Palästinenser einen solchen bekommen", fügt er trotzig hinzu. So wie er denken die meisten seiner Landsleute.
Der Preis dafür könnte aber hoch sein. Die Regierung Netanyahu hat bereits damit gedroht, die Steuer- und Zolleinnahmen auf palästinensische Produkte von jährlich knapp 100 Millionen Dollar nicht mehr an die Autonomiebehörde weiterzuleiten. Einige Minister schlugen gar vor, die in den Osloer Verträgen vereinbarte Selbstverwaltung für null und nichtig zu erklären oder über Abbas ein Reiseverbot zu verhängen. Die Siedler wurden von den Sicherheitsbehörden für den Fall, dass Unruhen ausbrechen, mit Stinkbomben und Tränengasgranaten ausgestattet. Der Herbst könnte heiß werden in Palästina.