)
Korruption, ethnische Rivalitäten und Aufstände drohen das Land zu schwächen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Juba. Salva Kiir wird bald etwas erleben, das ihm Anfang der 1960er Jahre höchstens als ferner Traum erschien. Damals schloss sich Kiir den südsudanesischen Rebellen an, die die Regierung in Khartum bekämpften. Wenn am Samstag in einer feierlichen Zeremonie die südsudanesische Flagge gehisst wird, wird sie erstmals über einem unabhängigen Staat wehen - und Kiir wird in der Hauptstadt Juba als Präsident vor der Fahne strammstehen.
Es war ein jahrzehntelanger Bürgerkrieg, in dem sich der großteils christliche und animistische Süden gegen die Diskriminierungen der arabischen, islamischen Regierungen im Norden wehrte (siehe Artikel unten). 2005 kam es unter internationaler Vermittlung zu einem Friedensabkommen, das dem Süden ein Referendum über seine Zukunft zugestand. Und bei diesem hat sich im Jänner 2011 eine überwältigende Mehrheit für die Unabhängigkeit entschieden.
Der Südsudan macht sich auf einen ungewissen Weg: Das bitterarme Land trägt noch immer die Spuren des Bürgerkriegs und hat einen schweren Aufbau vor sich. Es fehlt an Krankenhäusern und Schulen, an Straßen, die mehr als Sandpisten sind, an Häusern, die nicht nur aus Lehm und Wellblech bestehen.
Staat hängt am Erdöl
Doch unter der Erde des Südsudans befindet sich eine beachtliche Geldquelle: viel Erdöl. Dieses macht bereits mehr als 90 Prozent der Staatseinnahmen aus. Während die Autos hoher Regierungsbeamter immer protziger werden, kämpft aber der Großteil der Bevölkerung ums tägliche Überleben. Kiir hat zwar ein härteres Vorgehen gegen Korruption versprochen, doch der "Commander", wie er von seinen Anhängern genannt wird, ließ den Worten kaum Taten folgen.
Ein Grund dafür könnte sein, dass der Präsident Instabilität fürchtet, sollte er Maßnahmen gegen hohe Regierungskader setzen. Denn das Land ist noch immer voller Waffen, und wer von den Pfründen vertrieben wird, könnte schnell in Versuchung geraten, sich seine Ansprüche gewaltsam erkämpfen zu wollen.
Dies hat sich im Zuge der Wahlen im vergangenen Jahr gezeigt. George Athor, der früher selbst ein Unabhängigkeitskämpfer war, sah sich um einen Gouverneursposten geprellt. Er startete eine Rebellion gegen die regierende Sudanesische Volksbefreiungsbewegung (SPLM), die Dutzenden Menschen das Leben kostete.
Die SPLM ist die dominierende politische Kraft. Viele ihrer hochrangigen Politiker sind Ex-Rebellen aus der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA), die heute das südsudanesische Militär stellt.
Autoritäre Denkmuster
Militärische Strukturen prägen laut Beobachtern noch immer die Partei, ihre Kader denken in autoritären Bahnen. Interner Widerspruch oder Kritik von außen werden kaum geduldet.
Besonders stark vertreten sind in der SPLM die Dinka. In dem Vielvölkerstaat könnten sich dadurch andere Ethnien an den Rand gedrängt fühlen. "Es gibt viele Unterschiede im Südsudan: ethnische, regionale, teilweise auch ideologische", sagt der Ostafrika-Experte Ernst Jan Hogendoorn zur "Wiener Zeitung". Bisher wurden diese aber vom gemeinsamen Ziel, die Unabhängigkeit zu erlangen, überdeckt. "Nun könnte es aber schwieriger werden, diese Differenzen in den Griff zu bekommen", betont der Polit-Analyst des renommierten Thinktanks "International Crisis Group".
Aber nicht nur interne Gräben drohen aufzubrechen, auch die Beziehungen zum Sudan - oder das, was von ihm übrig bleibt - sind alles andere als geklärt. Auch wenn Sudans Langzeitherrscher Omar al-Bashir ankündigte, am Samstag in Juba dem Süden zur Unabhängigkeit zu gratulieren, bleiben viele Fragen offen und nähren Befürchtungen vor einer erneuten bewaffneten Konfrontation: Etwa wie die Grenze genau verlaufen wird oder wie die Öleinnahmen aufgeteilt werden sollen.
Kein Kompromiss
Auch der Sudan ist auf das Öl angewiesen, es beschert ihm laut Schätzungen mehr als die Hälfte seiner Einnahmen. Der Großteil der Erdölfelder befindet sich im Süden, die Pipelines verlaufen aber durch den Norden, wo auch die Raffinerien liegen. Bis jetzt konnten sich der Südsudan und die den Sudan regierende Nationale Kongresspartei (NCP) nicht einigen, wie mit den Öleinnahmen zukünftig umgegangen wird, ob die Gewinne nach einem bestimmten Schlüssel aufgeteilt werden oder ob der Süden eine Gebühr für die Nutzung der Infrastruktur im Norden zahlt.
Doch bei einer bewaffneten Konfrontation käme die Produktion zum Erliegen, und beide Seiten würden ihre Einnahmen verlieren. Derartige gegenseitige Abhängigkeiten würden derzeit das Risiko eines konventionellen, großen Krieges zwischen den beiden Staaten begrenzen, sagt Hogendoorn. Allerdings gebe es lokale Konflikte, die sich gefährlich hochschaukeln und so zu schweren Auseinandersetzungen zwischen dem Sudan und dem Südsudan führen könnten.
Kinder als Opfer
Entlang der zukünftigen Grenze gab es in den vergangenen Wochen bereits Kämpfe. Sudans Präsident Bashir ließ seine Armee in der umstrittenen Region Abyei einmarschieren, tausende Zivilisten flohen. Die Bewohner Abyeis sollten in einem eigenen Referendum darüber abstimmen, zu welchem Staat sie zukünftig gehören wollen. Doch bis heute konnten sich Khartum und der Südsudan nicht darüber einigen, ob mit dem Norden sympathisierende Nomaden stimmberechtigt sind. Mittlerweile gibt es zumindest eine Einigung über eine Entmilitarisierung der Region, UN-Einheiten überwachen den fragilen Waffenstillstand.
Ein weiterer Krisenherd ist Süd-Kordofan. Der Bundesstaat wird nach der Trennung dem Sudan zufallen und viele der dem Norden noch verbleibenden Erdölfelder befinden sich dort. Doch wie in Abyei fühlen sich manche Bewohner dem Südsudan zugehörig, andere dem Sudan. Zudem befinden sich in der Region tausende SPLA-Soldaten.
Khartum verlangte deren Entwaffnung oder dass sich die SPLA-Einheiten in den Südsudan zurückziehen. Die Soldaten weigerten sich, daraufhin kam es zu Zusammenstößen. Sudans Armee startete eine große Offensive, vor allem in den Nuba-Bergen, wo sich viele Bewohner als Südsudanesen sehen. Die sudanesischen Einheiten gingen laut Augenzeugen rücksichtslos vor. "Sie warfen Bomben auf Gebiete ab, in denen sich kein einziger SPLA-Soldat befand", berichtete der Bischof Macram Max Gassis, der ein Krankenhaus in der Region betreibt und auf Einladung von "Kirche in Not" in Wien war. "Alte Menschen, Frauen und Kinder waren die Opfer." Es gab zuletzt zwar Verhandlungen über einen Waffenstillstand in Süd-Kordofan, doch Sudans Regime behält sich weiter vor, "gegen Rebellen vorzugehen".
Doch nicht nur an der Grenze wurden Menschen getötet, auch im Landesinneren ist in beiden Staaten die Lage instabil. Der Südsudan ist mit dem schon erwähnten Aufstand von John Athor konfrontiert. Und die ursprüngliche aus Uganda stammende Rebellengruppe Lord’s Resistance Army überfällt Dörfer und massakriert Zivilisten. Im Sudan wiederum bekämpfen etwa in Darfur bewaffnete Verbände die Zentralregierung in Khartum.
Stellvertreterkonflikte
Der Südsudan und der Sudan werfen einander vor, Rebellengruppen im Territorium des anderen zu unterstützen. Beweise lassen sich dafür schwer finden. Klar ist, dass Khartum in der Vergangenheit Milizen im Süden aufgerüstet hat, um die SPLA zu bekämpfen. Klar ist auch, dass zuletzt Rebellenführer aus Darfur im Südsudan gesichtet wurden. Falls die Trennung zwischen dem Sudan und dem Südsudan schlecht gestaltet wird, "dann besteht die Gefahr, dass es zu einer Menge bewaffneter Stellvertreterkonflikte kommt", warnt Hogendoorn.
Aber auch wenn der Südsudan die Rebellen im Norden nicht unterstützt, könnte den Aufständischen die Unabhängigkeit des Südens neuen Auftrieb geben. Wenn sich die Lage in Darfur und Süd-Kordofan weiter verschärft, droht ein großflächiger, gebündelter Aufstand. Der kleine, das Land beherrschende Zirkel rund um Bashir reagiert so, wie er es schon immer getan hat: mit Härte und Kompromisslosigkeit. In beiden Regionen sitzen Leute in hohen Positionen, die als Hardliner gelten. Gegen Bashir selbst liegt ja ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofes wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Darfur vor.
Unheilvolle Strategien
Diese Regionen, die fernab von der Hauptstadt Khartum liegen, bleiben wirtschaftlich marginalisiert. Und die NCP hält daran fest, dass der Sudan ein arabisches und islamisches Land ist, in dem die Scharia herrscht. Doch in dem Staat mit Dutzenden Ethnien und Sprachen fügen sich viele Bewohner nicht in dieses Schema. Einige Volksgruppen in Darfur sehen sich als Schwarzafrikaner. Dasselbe trifft auf die Nuba in Süd-Kordofan zu, unter denen es viele Christen gibt.
Diese Politik der NCP und die damit einhergehende militärische Gewalt zählen zu den Hauptgründen, warum sich der Südsudan abspaltet. Die Trennung wäre aber ohne die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft nicht möglich gewesen.
Heute ist der Sudan in seinen Randgebieten mit ähnlichen Problemen konfrontiert ist, wie sie sich im Südsudan stellten. An seinen Strategien scheint Bashir aber auch nach dem Verlust eines großen Teil des Landes nichts ändern zu wollen.
Dossier: Südsudan