Jeder zweite Firmengründer ist Handwerker oder Akademiker. | Unterstützung kommt von Wirtschaftskammer und Uni-Alumniverband. | Die "Wiener Zeitung" hat vier Gründer besucht. | Wien/Bad Fischau. Es ist Ballsaison. Für die gelernte Schneiderin Katharina Theiner bedeutet das Arbeit. Und sie ist nicht unglücklich darüber. Seit Beginn des Jahres betreibt die 30-Jährige die Änderungsschneiderei "Nidelnadelneu" im neunten Wiener Gemeindebezirk. In dicken Lettern prangt der Name auf der Auslagenscheibe und wirbt um Kunden.
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"In der Silvesternacht haben Betrunkene das Schaufenster eingeschlagen", erzählt die Jungunternehmerin und seufzt. Warum sie sich selbständig gemacht hat? Acht Jahre habe sie bei verschiedenen Firmen als Schneiderin gearbeitet. "Mit den Betrieben habe ich immer wieder schlechte Erfahrungen gemacht. Der Druck war mir zu hoch", verrät Theiner, "ich wollte meine eigene Chefin sein. Ich weiß, dass ich's kann", sagt sie zuversichtlich.
2008: 30.000 Neugründungen
Dass gerade Frauen wie Theiner mit Firmengründungen Erfolg haben können, beweist auch die aktuelle Statistik der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ). So ist der Frauenanteil bei insgesamt 30.087 Neugründungen in Österreich 2008 auf 40,5 Prozent hochgeschnellt. "Wir haben eine magische Marke durchstoßen", freut sich Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl. Knapp 70 Prozent der gegründeten Betriebe würden die "ersten fünf Jahre überleben, das ist ein europäischer Spitzenwert". Leitl will auch den Grund für den Erfolg kennen: "Denn die Unternehmer werden auch in der Zeit nach der Gründung von uns "entsprechend begleitet", sagt er.
Ein dickes Lob für die Standesvertreter kommt von Lukas Hamburger, Jungunternehmer aus Bad Fischau in Niederösterreich. Dank kompetenter Beratung und eines geförderten Jungunternehmerkredits hatte sich der Absolvent der Landwirtschaftsschule und ausgebildete Gärtner bereits im März 2008 seinen Traum von einer eigenen Firma für Gartenpflege und Winterdienst verwirklicht.
Allein in den vergangenen Wochen hätten zehn neue Kunden angerufen, um den umtriebigen Niederösterreicher zu buchen. Ob Schneeräumen, Rasenmähen oder Heckenschneiden, "ich mache alles", erklärt Hamburger, öffnet die Seitentüre seines nagelneuen Firmenautos und verräumt die Winterschaufel. Das Innere des Wagens wirkt ordentlich, jedes Gerät hat seinen fixen Platz. "Als Gärtner investiere ich nur in qualitativ hochwertige Ausrüstung", sagt er und lächelt. Um im Sommer auch größere Aufträge annehmen zu können, plant Hamburger den Ankauf eines Traktormähers.
Laut den Erhebungen der Wirtschaftskammer machte sich jeder dritte Gründer 2008 im Gewerbe- oder Handwerksbereich (35,1 Prozent) und jeder vierte (25,1 Prozent) im Handel selbständig. Etwa gleich viele Anmeldungen gab es in der Sparte Information und Consulting (24,1 Prozent), 9,2 Prozent versuchten im vergangenen Jahr in der Tourismusbranche Fuß zu fassen. Allemal bemerkenswert ist die hohe Zahl an Maturanten und Akademikern. Nach einer WKÖ-Umfrage vom August 2008 verfügen 23,5 Prozent der Gründer einen AHS- oder BHS-Abschluss. Immerhin 22,3 Prozent haben studiert und vor ihrer Entscheidung, in die Selbständigkeit zu gehen, in mehreren Betrieben Erfahrung gesammelt. Das Durchschnittsalter der Jungunternehmer liegt daher bei 36 Jahren.
22,4 Prozent Akademiker
Studiert und jahrelang gearbeitet hat auch Susanne Rupprecht aus Wien. Die Physikerin hat sich Anfang Jänner als anonyme Autorin, also "Ghostwriterin", selbständig gemacht. "Die Idee ist mir bereits im Sommer 2006 gekommen", erzählt sie der "Wiener Zeitung". Vorher war die 45-Jährige im Qualitätsmanagement tätig gewesen, hatte sich aber bald ihrem Hobby, dem Schreiben zugewandt - und zu Jahresbeginn das Unternehmen "Textshop" gegründet.
"Anfangs wusste ich nicht, wie ich meinen Traum verwirklichen könnte", gesteht Rupprecht, "ich stehe nicht gerne im Mittelpunkt, möchte aber trotzdem gerne mein Know-how weitergeben." Aus diesem Grund sei es sehr schwer gewesen, sich Referenzen zu erarbeiten. Es habe viel Geduld und Mühe bedurft, bis im Vorjahr ihr erstes Buch über "ethisches Marketing" (allerdings noch unter eigenen Namen) erscheinen konnte. Es folgten einige literarische Veröffentlichungen sowie Fachartikel in mehreren Journalen.
Tatkräftige Unterstützung für ihre außergewöhnliche Idee erhielt Rupprecht schließlich von der Initiative "Universitätsabsolventen gründen Unternehmen" (Uniun) des Alumniverbandes der Universität Wien. "Unser Programm hat zum Ziel, Akademiker mit einer Geschäftsidee zur Unternehmensgründung zu führen", erklärt Uniun-Sprecherin Judith Jennewein im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Es gehe darum, den Kandidaten "die Selbständigkeit als sinnvolle Karriere-Perspektive näher zu bringen", sie auf dem Weg zur Unternehmensgründung zu unterstützen und gemeinsam einen Businessplan auszuarbeiten. Insgesamt wurde das dreistufige Programm, das sich aus Trainings, Vorträgen und Coachings zusammensetzt, seit 1999 sechsmal durchgeführt und rund 350 Gründungsvorhaben initiiert.
Im Schneidergeschäft "Nidelnadelneu" in der Sechsschimmelgasse brennt um fünf Uhr abends noch Licht. Ruhig sitzt Katharina Theiner bei der Arbeit, die Nähmaschine surrt, vom Nebenraum dringt der Duft frisch gerösteten Kaffees in die Stube. "Ich habe am Anfang schon viel Geld in das Projekt gesteckt", sagt sie. Knapp 6000 Euro hat sie investiert. Unterstützung habe sie von Freunden, aber auch vom Pfarrer erhalten. "Die meisten Kunden gewinne ich über Mundpropaganda", so Theiner. Eine Homepage sei aber bereits in Arbeit.
Auch die Musikerin Ianna Sedlácková feilt bereits an einem Internetauftritt und dürfte bald für Aufsehen sorgen. Die Absolventin des Uniun-Programms hatte bereits 1998 gemeinsam mit einigen Mitstreitern eine völlig neue Idee geboren. "Wir haben zufällig herausgefunden, dass die ideale Stimmtonhöhe für den Vortrag von klassischen Musikstücken bei einem Bezugston von 428 Hertz liegt", erzählt die Künstlerin mit leuchtenden Augen. Die meisten Interpreten würden aber in einer viel höheren Tonhöhe spielen und singen und dadurch "alles kaputt machen". Um dieses Phänomen erforschen und die daraus erwachsenen Probleme kommunizieren zu können, will Sedlácková gemeinsam mit anderen Künstlern noch im Jänner das "Institut für theoretische, angewandte und darstellende Musikmedizin" gründen. Die jahrelange Vorarbeit hat sich für die Projektanten ausgezahlt: Inzwischen haben 20 Orchester, vier Universitäten aus Österreich, Japan und den USA sowie mehrere Instrumentenbauer ihre fixe Zusammenarbeit mit dem neuen Institut zugesagt - und Förderungen versprochen.
"Wir sind weit gekommen"
Da es aber noch Probleme mit der Verwaltung des Budgets gab, wandte sich auch Sedlácková an Uniun. "Wir haben im Rahmen des Programms einen Businessplan erstellt und Hilfe von einer Kauffrau erhalten", freut sie sich. Auch das Austria Wirtschaftsservice (AWS) habe die Institutsgründer "fantastisch betreut" und etwa bei der Klärung von Rechtsfragen geholfen. "Wir sind weit gekommen. Hoffentlich können wir mit unserer Arbeit Einfluss auf die Lehre und die Musikindustrie nehmen, sagt Sedlácková.
Mit der Arbeit weiter gekommen ist inzwischen auch Katharina Theiner in der Schneiderei. Zufrieden stellt sie die Nähmaschine ab, mustert das bearbeitete Stück und legt es sorgfältig ab. Ob es noch viele Schneidereien in Wien gibt? "Leider ist das Handwerk im Aussterben, dabei ist es so ein schöner Beruf", antwortet Theiner leise. Ihr Blick fällt auf das noch unmöblierte Vorzimmer ihres Geschäfts. "Hier kommt noch eine gemütliche Sitzecke her", sagt sie dann lächelnd, "und dort drüben mein neuer Schreibtisch."