Krisenbedingte Gedanken zum Ferienbeginn: In einem Einheitsbrei lässt es sich schlecht urlauben.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Today is life. Tomorrow never comes." Das hat 1976 ein von der Hippie-Lebensweise infizierter Grieche an die Mauer in der Bucht von Matala geschrieben, die den Uferweg über dem Strand und dem Meer stützt. Damals galt das kleine Fischerdorf an der Südküste Kretas noch als Aussteigerparadies. Studenten kamen hierher und Weltenbummler, manche blieben für immer hängen. Einige wollten neue Lebensentwürfe verwirklichen, indem sie einfache Dinge wie Brot, Wein und Meer der Konsumwelt ihres Zuhauses entgegensetzten. Andere suchten mithilfe der gleichen Ingredienzien lediglich eine kurze Erholung von der Hektik des Alltags.
Dass man aus dem Erwerbsleben im Kapitalismus einfach aussteigen könnte, war damals ein recht neuer Gedanke. Aber schon die Eltern trieb es nach dem Zweiten Weltkrieg mithilfe des wachsenden Wohlstands gen Süden, zunächst noch vor allem nach Italien, und diese Sehnsüchte waren denen der Kinder weniger unähnlich, als es beide Seiten wahrhaben wollten. Mit Neid blickte man auf das "Dolcefarniente" der Italiener, und die entspannte mediterrane Zwanglosigkeit wurde dann auch bei Urlauben in Spanien oder in Griechenland genossen.
Das sind exakt jene Länder, die uns heute als Reiter der Euro-Apokalypse dargestellt werden. Und die Propheten, die mit dem Untergang drohen, verkünden als Heilslehre den nördlichen Weg des Sparens, wobei sich Deutschlands Angela Merkel als Mischung aus strenger Herrin und Oberlehrerin, die ihren Schülern zu erledigende "Hausaufgaben" aufgibt, geriert.
Dabei war es Merkel, die auch noch mitten in der Griechenland-Krise Verkäufe deutscher Waffen nach Athen forcierte. Und bei der Flüchtlingswelle, die über die griechischen Grenzen schwappt, lässt die EU das Land überhaupt im Stich und fördert damit Wahlerfolge einer faschistischen Partei. Die Medien geben hingegen allein den "Pleite-Griechen" die Schuld an der verzwickten Lage und nähren damit Vorurteile, die wohl ursächlich zur Austrocknung der Tourismusströme geführt haben.
"Ich bin unterwegs nach Süden und will weiter bis ans Meer", sang der Folk-Barde Hannes Wader in den Siebzigern, 1985 verliehen STS mit dem Wunsch "Irgendwann bleib i dann dort" ihrer Griechenland-Liebe Ausdruck, und der liechtensteinische Musiker Herwig Thöny, der zwischen seinen Wohnsitzen Wien und Kreta pendelt, hat sogar jüngst noch den eingangs zitierten Slogan zu einem "Matala-Song" verarbeitet. Die Sehnsucht ist also weiterhin da, die Sorglosigkeit gegenüber dem Morgen ist allerdings geschwunden. Tatsächlich haben sich hinter der Fassade von südlichem "Leben und leben lassen" Politikerclans unverschämt bereichert, die Korruption blüht wie einst Goethes italienische Zitronen, und wirtschaftlich ist einiges schiefgelaufen.
Aber wollen wir den Süden wirklich zu einem Abbild des Nordens machen, wo akribische Regeln und Zwänge ebenso fröhlich gedeihen wie Arbeitsstress und damit verbundene "Burn-out"-Krankheiten? Und wenn der Einheitsbrei einmal angerichtet ist: Wo, bitte schön, sollen wir dann Urlaub machen?