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Der Triumph der Häme

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Es gibt, in freien Gesellschaften jedenfalls, die Pflicht zur Kritik. Häme gehört nicht dazu.


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Es gibt, in freien Gesellschaften jedenfalls, die Pflicht zur Kritik. Eine Verpflichtung, nicht nur ein Recht, weil allein die unablässige Infragestellung der bestehenden Verhältnisse durch Worte Fortschritt (oder wie auch immer man die Suche nach immerzu passenderen Lösungen bezeichnen mag) ohne Gewalt zu ermöglichen.

Kritik sollte deshalb wenig heilig sein, jedenfalls nichts Mächtiges. Bei Zweifeln leistet der Grundsatz, wonach nach oben treten willkommen, nach unten treten jedoch verpönt sein sollte, Orientierungshilfe selbst dann, wenn sich über "oben" und "unten" streiten lässt. Es gibt so etwas wie die Heisenbergsche Unschärferelation auch in gesellschaftlichen Angelegenheiten.

Das alles sind eigentlich banale Selbstverständlichkeiten, oder sollten es sein. Aber weil alles Überkommene ständiger Veränderung unterworfen ist, muss eben auch bisher Selbstverständliches wie wechselseitiger Respekt und Höflichkeit um immer neue Anerkennung kämpfen.

Vielleicht liegt hierin ein Grund, warum daran erinnert werden muss, dass die Verächtlichmachung kein Stilmittel der Kritik sein sollte (und der Politik noch viel weniger). Während im öffentlichen Diskurs Spott und Häme gegenüber ethnischen, religiösen, sexuellen oder sonst wie Anders-Seienden zunehmend verpönt sind, feiert die Verachtung wegen "falscher" politischer Disposition Konjunktur. Jeder Versprecher, Verhaspler oder Nachweis einer Wissens- oder Bildungslücke - als Beispiel mag der Afrika-Sager der Wirtschaftsministerin genügen - ist zum Anlass verkommen, kübelweise Geringschätzung und Beleidigung über die Betreffenden auszuschütten. Das alles ist zulässig in einer freien Gesellschaft. Und tatsächlich entspricht es auch den Tatsachen, dass es sich bei den "Opfern" der Verächtlichmachung in der Regel um Vertreter - und noch häufiger Vertreterinnen - der Mächtigen in einem erweiterten Sinn handelt.

Doch das ist nicht der Punkt. Entscheidend ist, dass Häme in solchem Ausmaß nur noch auf den Menschen zielt und nicht mehr auf die Gruppe, die Haltung oder die Interessen, die er oder sie repräsentiert. Die notwendige und nur zu oft angebrachte Kritik wird auf diese Weise entpolitisiert und ihres eigentlichen Zwecks beraubt. Was übrig bleibt, ist das Ziel persönlicher Erniedrigung.

Hier werde nur Gleiches mit Gleichem verglichen, ist in solchen Fällen oft zu hören, fast so, als wäre "Zahn um Zahn, Auge um Auge" das höchste biblische Gebot. Der ungleich bessere Rat ist hier Michelle Obamas Appell für Respekt und Großzügigkeit im Umgang mit Gegnern in ihrer Formulierung: "If they go low, we go high."