Zum Hauptinhalt springen

Der Trost der Physik

Von Christian Hoffmann

Wissen
© © © Tom Hoenig/Westend61/Corbis

Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wenn jemand im Flugzeug sitzt und durch das schmale Fenster hinaus auf die Tragflächen schaut, dann könnte sich die Frage ergeben: Wie ist es möglich, dass sich diese Konstruktion in der Luft hält? Mit diesen dünnen Tragflächen? - Hilfe bei solchen existenziellen Problemen findet man am ehesten bei einem Physiker.

Der Zutritt zur Wunderwelt der Physik liegt in der Strudelhofgasse 4, in einem alten Haus, dem Standort der Fakultät für Physik an der Universität Wien. Im Treppenhaus ist auf einer Marmortafel vermerkt, dass das Gebäude zur Regierungszeit von Kaiser Franz Josef errichtet wurde, zu einer Zeit, da Motorflugzeuge noch nicht allzu lange erfunden waren. (Den ersten Motorflug, der stolze zwölf Sekunden dauerte, führten bekanntlich die Gebrüder Wright im Jahr 1903 durch.) Über eine breite Treppe geht es hinauf ins erste Stockwerk und dann durch eine altmodische, hölzerne Schwingtür in einen Gang und weiter zu einem Saal. Dort stehen auf langen Tischen allerlei Apparate herum, deren Zweck auf den ersten Blick rätselhaft ist.

In dieser Welt sind Theodor Duenbostl und Heinz Kabelka zu Hause, zwei Physiker, die dort angehende Lehrer darauf vorbereiten, Kinder für die Wunder der Physik zu interessieren. Und dazu gehören auch elementare aerodynamische Fragen, wie die, warum Flugzeuge nicht einfach vom Himmel fallen. Wie es grundsätzlich möglich sein kann, eine Boeing 747, die mehr als 300 Tonnen wiegt, durch die Luft zu bewegen.

Die beiden Herren lachen. Sie erinnern sich zunächst an einen Vortrag von Professor Karl Luchner am Institut, einer Koryphäe im deutschsprachigen Raum, Professor an der Universität München und Autor zahlreicher Fachbücher. Der hat am Rande einer seiner Wiener Vorträge gestanden, dass es für ihn trotz allem seltsam sei, mit dem Flugzeug zu reisen. "Ich kann es erklären", waren damals seine Worte, "ich kann es berechnen, aber vorstellen, dass es wirklich funktioniert, kann ich mir nur schwer."

"Außerdem", ergänzt Heinz Kabelka, "sind auch falsche Theorien im Umlauf." Einige davon, könne man vermutlich noch in älteren Lehrbüchern finden.

Doch der Reihe nach. "Am Anfang steht", sagt Theodor Duenbostl, der viele Jahrzehnte Physik im Gymnasium in der Ettenreichgasse unterrichtet hat, "am Anfang steht immer noch das Gesetz von Newton, nämlich dass es zu jeder Kraft in unserem Universum eine Gegenkraft gibt." Dabei verzichtet er, obwohl er selbst ein humanistisches Gymnasium besucht hat, mit Rücksicht auf moderne Schülergenerationen auf die lateinische Formulierung des dritten Gesetztes von Newton aus dem Jahr 1726: actio et reactio. Praktisch angewandt auf unsere Flugreise bedeutet das, dass eine Luftströmung, die auf eine Tragfläche trifft, zunächst eine Gegenkraft erzeugt. Der Professor hat sogleich ein Beispiel zur Hand. Bei einem Kleinflugzeug der Marke Cessna, das vom Motor getrieben mit 220 km/h fliegt, ergibt sich bei einem Anstellwinkel des Flügels von fünf Grad eine Ablenkung der Luft nach unten mit einer Geschwindigkeit von 18 km/h. Mit der Fläche des Flügels und der Dichte der Luft errechnet sich daraus eine Kraft, die dem Gewicht von etwa fünf Tonnen Luft entspricht, also knapp dem Fünffachen des Eigengewichts der Maschine, was schon einigermaßen zuversichtlich stimmt.

Der Auftrieb.

Um die Kunst des modernen Fliegens zu erklären, würde allerdings die Theorie von Newton bei weitem nicht ausreichen. Den Auftrieb, der an der Tragfläche entsteht, zu erklären ist heikler. Und zu diesem Punkt gibt es auch eine falsche Theorie, die so populär ist, dass sogar die Nasa auf ihrer Wissenschaftsseite im Internet darauf eingeht. Er selber habe, gesteht Heinz Kabelka, vor Jahren noch diese falsche Theorie in der Volksschulklasse seines Sohnes zum Besten gegeben, in die er eingeladen war, um die Theorie des Fliegens zu erklären. "Immerhin ein Doktor der Physik", wie Kollege Duenbostl anmerkt. (Auf die Entwicklung der Kinder scheint die falsche physikalische Information aber keinen schädlichen Einfluss gehabt zu haben.)

Es geht dabei um die Strömung, die an einer Tragfläche entlang streicht. Da diese Tragfläche gekrümmt und gewölbt ist, entsteht an der einen Seite des Flügels ein Unterdruck und an der anderen ein Überdruck. Diese Kräfte zusammen ergeben, vorausgesetzt die Strömung ist ausreichend stark, also die Geschwindigkeit ausreichend hoch, genügend Auftrieb, um das ganze Flugzeug mit Mann und Maus nach oben zu ziehen, den Wolken entgegen. Im Kleinen kann man diesen Effekt beobachten, wenn man ein Blatt Papier wie ein Tragfläche faltet und dagegen bläst: Es wird von dem Luftstrom deutlich nach oben gezogen. Bei einer Boeing 747 im Reiseflug wird dieser Luftstrom mit etwa 900 km/h erzeugt.

Der delikate Teil des Problems besteht darin, das Zustandekommen dieser Strömungskräfte an der Tragfläche im Detail zu erklären. In früheren Zeiten wurde manchmal angenommen, dass Unterdruck und Überdruck dadurch entstünden, dass, da die Distanzen, die der Luftstrom an der Ober- und der Unterseite des Flügels zurücklegt, verschieden groß sind, die Luft an der Ober- und der Unterseite des Flügels unterschiedlich schnell strömen müsse, um an der Hinterkante des Flügels wieder zusammenzutreffen. "Heute weiß man, dass diese Theorie falsch ist", sagt Heinz Kabelka. Er hat sogar auf seiner Homepage einen Link zum Glenn-Institut der Nasa gelegt, um über diesen Irrtum endgültig aufzuklären.

Die richtige Erklärung des Geschehens an der Tragfläche hat für die Luftfahrt übrigens durchaus praktische Bedeutung. Wenn das Flugzeug startet, entstehen nämlich am Ende der Tragflächen Wirbel, aus denen sich dann eine Zirkulation bildet, eine Strömung, die den Flügel umkreist. Heute weiß man, dass es diese Zirkulation ist, die unterschiedliche Geschwindigkeiten des Stroms an der Unter- und Oberseite des Flügels bewirkt und damit die Sogwirkung, die den Auftrieb ergibt. Beim Start eines großen Jets sind diese Anfahrtswirbel sogar so stark, dass sie noch eine Weile auf der Startbahn zurückbleiben und das nächste Flugzeug mit dem Start warten muss, bis sie sich aufgelöst haben.

Hat man einmal verstanden, wie der Sog zustande kommt, der das Flugzeug nach oben in höhere Sphären zieht, dann ist der Rest leicht zu erklären. Ein ausgefeiltes System von Höhen-, Quer- und Seitenruder dient dann dazu, die Strömung zu beeinflussen und damit das Flugzeug in der Luft zu steuern, indem verschiedene Formen von Widerstand erzeugt werden, die dann Gegenkräfte hervorrufen, an denen der gute alte Newton seine Freude gehabt hätte. Außerdem gibt es inzwischen ausgefeilte Systeme, die der Natur abgeschaut wurden, um das technische Fliegen effizienter zu machen: Aufgestellte Enden der Tragflächen, wie man sie bei Vogelschwingen beobachten kann, oder Riblets, mikroskopisch kleine Rippen nach dem Modell der Haut mancher Haifische, die die Strömung optimieren und damit Treibstoff sparen.

Die Kunst des Fliegens ist für jemanden wie Theodor Duenbostl nur eines von vielen Themen, mit denen er Studenten und Schüler für die Zauberwelt der Physik begeistern will. In gut vierzig Jahren als Lehrer hat er schon Projekte ins Leben gerufen wie Physik des Praters, Physik der Disco, Physik des Sports oder Physik der Haushaltsgeräte, bei denen es darum geht, physikalische Gesetze in einem Wagen der Hochschaubahn oder anhand eines Mikrowellenherds zu studieren. Er lacht: "Vielleicht sind die Schüler nach solchen Stunden nicht ganz so exakt in den Formeln, auf jeden Fall aber können sie die Begeisterung für das Fach entdecken." Und darin sieht er eine große Aufgabe: das naturwissenschaftliche Interesse kommender Generationen zu fördern. Eine Aufgabe, der er sich auch noch nach seiner Pensionierung als Lehrer als Spezialist für Fachdidaktik an der Universität widmet.

Infos.

homepage.univie.ac.at/Heinz.Kabelka/SVP/Flug/Flug.htm Homepage von Heinz Kabelka, mit vielen Links zu Seiten über die Physik des Fliegens, darunter auch der des Glenn-Institutes der Nasa. www.duenbostl.at Homepage Theodor Duenbostl mit umfangreichem didaktischen Material

Literatur.

Theodor Duenbostl, Thomas Brezina, Leopold Mathelitsch, Theresia Oudin: Physik erleben, Band 2. Für das 6. Schuljahr. Lehrplan 2000. ÖBV & hpt. 96 Seiten, Preis: 9,40 Euro