Parteien unterliegen immer wieder gerne dem Reiz von Quereinsteigern. Deren Unberechenbarkeit ist allerdings nicht ohne Risiko für die politische Stabilität.
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War es eine Kurzschlusshandlung, ein zu dünnes Nervenkostüm angesichts der auf ihn niederprasselnden Kritik, oder war Horst Köhler schlicht mit dem Amt überfordert?
Nach dem völlig überraschenden Rücktritt des deutschen Bundespräsidenten wegen missverständlicher Aussagen in einem Interview über den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr wird noch immer über die Ursachen gerätselt, die Köhler zu dem - in den Augen vieler - irrationalen Schritt motiviert haben könnten.
In Österreich wäre ein solcher Schritt völlig undenkbar. Hier tritt praktisch niemand freiwillig zurück, zumindest nicht wegen missverständlicher Aussagen in einem Interview; und schon gar nicht "wegen mangelnden Respekts" vor dem Amt. Worte werden hierzulande auf die leichte Schulter genommen. Selbst Äußerungen jenseits der Zumutbarkeitsgrenze führen zu keinerlei Konsequenzen. Die Unterschiede zwischen der politischen Kultur in Deutschland und Österreich könnten diesbezüglich größer nicht sein.
Köhler war, als ihn Angela Merkel und Guido Westerwelle 2004 gemeinsam aus dem Hut zauberten, ein politischer Quereinsteiger. Der ehemalige Direktor des Weltwährungsfonds war ausgewiesener Wirtschaftsexperte, in der Politik aber ohne besondere Erfahrung. Entsprechend inszenierte sich Köhler denn auch als Anti-Politiker, der das Ohr ganz nah am Volk haben wollte.
Dieses offensive Amtsverständnis kollidierte jedoch mit den äußerst beschränkten politischen Einflussmöglichkeiten des deutschen Bundespräsidenten. Dessen stärkste Waffe ist das gesprochene Wort, verfassungsrechtlich sind ihm dagegen enge Grenzen gesetzt. Vielleicht verzweifelte der Anti-Politiker Köhler mit seinem Wunsch, eine aktive Rolle in der Politik spielen zu wollen, an den nicht vorhandenen Gestaltungsmöglichkeiten seines Amtes.
In Österreich erlitt Thomas Klestil ein ähnliches Schicksal. Statt Wirtschaftsexperte war Klestil gelernter Diplomat. Auch er trat mit dem Versprechen an, ein aktiver Bundespräsident zu sein. Legendär sein Versuch, das Amt neu zu definieren, als er selbst 1994 den EU-Beitrittsvertrag Österreichs unterzeichnen wollte. Auch im Konflikt um die Bildung der schwarz-blauen Regierung 2000 musste Klestil anerkennen, dass nicht er, sondern eine politisch tragfähige Mehrheit im Nationalrat Herr des Verfahrens war.
Klestil überschätzte wie nun Köhler als Quereinsteiger die Möglichkeiten seines Amtes. Und auch mit Kritik, das zeigte sein selektiver Umgang mit Medien, tat sich der Diplomat stets schwer.
Heinz Fischer ist vor solchen Fehleinschätzungen aus dreierlei Gründen gefeit. Erstens ist der Bundespräsident politisch ein absoluter Vollprofi, der bereits 1971 erstmals in den Nationalrat einzog. Zweitens gilt er als ausgewiesener Kenner der geschriebenen wie realen politischen Verfassung Österreichs - und damit auch der begrenzten faktischen Möglichkeiten seines Amtes. Und drittens formuliert das Staatsoberhaupt zumindest bei seinen offiziellen Wortmeldungen so überaus nach allen Seiten abwägend und vorsichtig, dass es mitunter schon an eine Wissenschaft grenzt, konkrete Aussagen und Ansagen aus seinen Worten herauszudestillieren.
Aber Letzteres soll, das hat Fischer im Wahlkampf für seine Wiederwahl jedenfalls angekündigt, in seiner zweiten Amtszeit ja anders werden. Sein - nunmehr - ehemaliger deutscher Amtskollege hat ihm diesbezüglich allerdings ein warnendes Beispiel geliefert.