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Der Tunnel unter dem Grenzzaun: Durchbruch für weitere Eskalation

Von Georg Friesenbichler

Analysen

"Das ist eine strategische Peinlichkeit", meinte der israelische Infrastrukturminister Benjamin Ben-Eliezer nach dem palästinensischen Angriff auf einen Grenzposten. Denn es muss angeblich Monate gedauert haben, den Tunnel unter dem berüchtigten Grenzzaun zu graben, der Israel vom Gazastreifen trennen soll. Und die Grenzstation Kerem Shalom, die angegriffen worden war, war in den letzten Wochen immer wieder gesperrt gewesen, weil es Hinweise auf einen bevorstehenden Angriff gegeben hatte.


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Dass dieser gerade jetzt erfolgte, war allerdings gewiss kein Zufall. Gerade zuvor, am Samstag, waren Israelis in den Gaza-Streifen vorgedrungen, um dort zwei Aktivisten der regierenden Hamas zu verhaften. Israel hatte bereits angekündigt, nun am Boden statt aus der Luft zu operieren - zu negativ waren die Reaktionen auf die zahlreichen Luftschläge gewesen, die auf den Raketenbeschuss israelischen Gebiets gefolgt waren. Einer von ihnen tötete den führenden Hamas-Funktionär Jamal Abu Samhadana, andere aber kosteten in den vergangenen Wochen auch viele Zivilisten das Leben.

Mit Samhadanas Tod wurde auch der Angriff auf Kerem Shalom, der erste seiner Art seit dem israelischen Abzug aus dem Gaza-Streifen, begründet. Aber die Wortmeldungen von palästinensischer Seite über die Entführung eines jungen israelischen Soldaten waren verwirrend. Selbst aus der Hamas gab es beruhigende Stimmen, die Israel dazu aufriefen, die Situation nicht eskalieren zu lassen. Andere verteidigten den Angriff als einen Akt legitimen Widerstands.

Eine Gruppe namens "Islamische Armee", die sich zum Anschlag bekannte, bezeichnete sich als Abspaltung vom "Volkswiderstandskomitee", das wiederum der Hamas nahe steht. Das Komitee dementierte zunächst, vom Verbleib des Entführten zu wissen. Sind dies nur geschickte Täuschungsmanöver? Oder bilden sich sogar schon in der Hamas Gruppen unterschiedlicher Radikalität?

Israel lässt sich auf solche Spekulationen gar nicht erst ein, sondern wirft gleich Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas mit in den Topf, auch wenn dieser die Attacke als "Verstoß gegen den nationalen Konsens" klar verurteilt hat. Ihm wird mit dem Abbruch der - ohnehin bescheidenen - Kontakte gedroht.

Dabei hat Abbas an der Heimatfront genug zu tun. Dass er der Hamas in Aussicht gestellt hat, das geplante Referendum über eine Zwei-Staaten-Lösung abzusagen, sollte man sich zwischen den Parteien einigen, scheint Wirkung zu zeigen. Zwar sind seine Gespräche mit Premier Ismail Haniyeh noch immer ohne Ergebnis, man spricht aber von wichtigen Fortschritten. Eine vereinte Palästinenserfront wiederum kann Israel nicht recht sein.

Der verschleppte 19-jährige Grundwehrdiener wird so zu einem Stein im Spiel widerstreitender Strategien. Die letzte Entführung eines israelischen Soldaten durch die Hamas liegt zwölf Jahre zurück. Er starb bei einem Befreiungsversuch.