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Fair, bio, regional, saisonal oder eh alles egal - wer hat noch den Überblick?
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Das Bio-Joghurt vom Großkonzern, das Joghurt vom Bio-Supermarkt oder gleich direkt vom Bauern? Das Bio-Obst aus Chile oder das Obst nur aus Österreich? Oder gleich das Obst- und Gemüse-Kisterl, das aber mit dem Auto geliefert wird? Wenn Autofahren, dann nur mit Bio-Treibstoff, der aber wiederum Ureinwohner heimatlos macht? Boutiquen mit Öko-Gewand suchen oder doch lieber das Leiberl von der Billig-Kette, damit noch Geld für Spenden an Greenpeace bleibt?
Noch nie war die Auswahl an Produkten so groß wie heute und die Lebensgestaltung der Menschen unterschiedlicher. Der Käufer ist individuell geworden, und vorausgesetzt er gehört nicht zu denjenigen, denen ohnehin alles egal ist, stellt sich für ihn immer öfter die Frage: Kann ich überhaupt etwas richtig machen? Kann ich als Konsument, der sich bewusst dafür entschieden hat, Verantwortung für sich und seine Umwelt zu übernehmen, so leben, dass niemand darunter leiden muss? Dass ausschließlich faire Löhne gezahlt werden, niemand gesundheitlich zu Schaden kommt, auch ich selbst nicht? Und dass ich die Gewissheit darüber habe?
Die schockierende Antwort gleich vorweg ist: Nein. Das ist nicht möglich. Es sei denn, man lebt völlig autark in einem Haus mit Garten am Land, baut sein Essen an, hat seine eigene Stromversorgung und unterrichtet seine Kinder selbst. Auch dieses enorme Arbeitspensum kann überfordern. Die Aussteiger-Lösung ist demnach auch keine Variante, zumindest für die meisten.
Die Fairtrade-Bewegung
Als Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre in Europa Bewegungen entstanden, die sich um den Zustand der Welt und das zunehmende Ungleichgewicht zwischen Nord und Süd sorgten, war das die Geburtsstunde von Pionierunternehmen, die bewussten Konsum, Armutsbekämpfung und partnerschaftliche Handelsbeziehungen miteinander zu verbinden versuchten. In Österreich brachte 1975 die heutige EZA (Entwicklungszusammenarbeit) Fairer Handel den Stein ins Rollen. Das Ungleichgewicht im Handel stand dabei im Vordergrund. Die ersten Weltläden wurden gegründet. Heute gibt es 94 dieser Fachgeschäfte für fairen Handel in ganz Österreich.

Bio-Produkte und Bio-Supermärkte folgten. Die Bio-Produkte hatten allerdings zu Beginn nichts mit dem fairen Handel zu tun. Die moderne Naturkost-Bewegung erfuhr - ausgelöst durch die Hippie-Müsli-Generation - aber zeitgleich einen Aufschwung. Die ersten "Naturkostläden" entstanden ebenfalls Anfang der 70er Jahre. Der Fokus lag dabei auf "gesund" und "biologisch angebaut".
Die Pioniere haben sich aber vor allem eines groß aufgeschrieben: Transparenz. Wer steht hinter einem Produkt und unter welchen Bedingungen wurde es hergestellt? Die Welt außerhalb der persönlichen Wahrnehmung und Verantwortung ist groß und versteckt. Sie macht aber einen riesigen Teil unseres Lebens aus. Die einzigen Berührungspunkte sind etwa die Stromrechnung, Schreiben der Versicherung, Beipackzettel, Handyrechnungen, Informationsblätter - alles meist in juristischer Sprache verfasst, sodass sie ohnehin kaum jemand versteht. Die Beschreibung auf dem Produkt den Inhalt betreffend - ein spanisches Dorf.
Die E-Verwirrung
Der Text auf einer Getränkeflasche mit den 1000 Es - keine Ahnung. Millionen Dinge um einen herum, wo man nicht weiß, woher das kommt, was da drinnen ist und wer das unter welchen Bedingungen produziert hat. Nach und nach sickern Informationen durch - allerdings nicht von der öffentlichen Hand, sondern vom privaten Hörensagen. Milch habe keinen natürlichen Fettgehalt mehr, das Schweinderl in der Werbung ist das einzige glückliche, der Inhalt sei immer derselbe, egal welche Marke, nur die Verpackung sei eben anders - vieles ist zu hören.
Die Schlagwörter Bio, Öko, echt, Natur, zurück zur Natur wurden längst von der Werbeindustrie vereinnahmt mit dem Blick auf den Käufer und nicht auf das Produkt. Längst sind auch Gütesiegel in Kritik geraten. Jeder weiß mittlerweile, was es bedeuten kann, wenn "aus Österreich" steht, nämlich nur, dass es in Österreich verarbeitet wurde.
Alles zu viel? Für Andrea Reitinger, Sprecherin der EZA Fairer Handel gibt es "viele Hebel für Veränderung". Der Konsument allein könne nie alles abdecken. "Von verschiedenen Seiten muss etwas bewegt werden", sagt sie. Auch dürfe nicht alles vom Konsumenten abhängen. "Es ist absurd, dass in den wesentlichen Fragen des Lebens - zum Beispiel, wenn es um Klimaschutz oder die Einhaltung von Menschen- und Arbeitsrechten weltweit geht - sehr wenig reguliert wird, so nach dem Motto, der Konsument wird es schon richten." Denn der Markt regle eben nicht alles, daher müssen Unternehmen umdenken, die politischen Rahmenbedingungen sich ändern. Mit dem Einkaufswagen allein könne man sicher nicht die Welt verändern, betont sie: "Wir sind aber nicht nur Konsumenten, sondern auch Bürger und haben die Möglichkeit, aktiv zu werden."
Beim Einkaufen gilt für die langjährige EZA-Mitarbeiterin der Leitfaden: fair, bio, regional, saisonal. Wobei selbst Bio-Erdbeeren zu jeder Jahreszeit keine gute Idee seien. Doch werden wir, so Reitinger, auch nicht um die Frage herumkommen: Wie viel brauche ich? Wann ist genug? So führe etwa das optimistische Setzen auf Agro-Treibstoff letztlich in eine Sackgasse, denn seine Erzeugung trete dabei oft in direkte Konkurrenz mit der Erzeugung von Lebensmitteln. Es gehe vielmehr darum, den individualisierten Autoverkehr zurückzufahren und die Versorgung mit öffentlichen Verkehrsmitteln weiter auszubauen.
Und was ist mit dem fairen T-Shirt aus Indien, das die EZA anbietet? Die EZA wurde, so Reitinger, vor fast 40 Jahren gegründet, um Fairen Handel mit benachteiligten Menschen im globalen Süden zu betreiben und dadurch einen Beitrag zur Verbesserung ihrer Lebenssituation zu leisten. "Mit jedem Produkt aus Fairem Handel stellen wir gleichzeitig unter Beweis, dass es eine Alternative gibt. In einer globalisierten Welt können wir nicht die Augen davor verschließen, wie Produkte anderswo hergestellt werden." Das alleinige Setzen auf Regionalität greife zu kurz. Umgekehrt muss regional nicht unbedingt fair heißen, wie das Beispiel der regionalen Massentierhaltung verdeutlicht. "Hühner aus Bodenhaltung" klingt gut. Um am Leben zu bleiben, werden diese mitunter mit Antibiotika vollgestopft.
Die kritische Masse wächst. Der Konsument wird auch in Zukunft viele Entscheidungen treffen müssen. Umso mehr, je länger sich die öffentliche Hand nicht verpflichtet fühlt, die Bürger ausreichend zu informieren. Nicht derjenige, dem alles egal ist, wird die Welt verändern, auch nicht derjenige, der sich empört zurückzieht, sondern derjenige, der empört ist und aktiv wird - nicht nur beim Einkaufen. "Clean IT" ist eine dieser nächsten Herausforderungen, die noch in den Kinderschuhen steckt. Oder wissen Sie, unter welchen sozialen Bedingungen und mit welchen ökologischen Folgen Ihr Computer hergestellt wurde?
"In den wesentlichen Fragen des Lebens wird sehr wenig reguliert, nach dem Motto, der Konsument wird es schon richten."
Andrea Reitinger, EZA