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Der Umsatz bestimmt die Heilkraft

Von Edmund Berndt

Wissen

Der Markt mit der Gesundheit lässt den Laien keine Chance. | "Information" als Deckmantel für die Parapharmazie. | Werbeverbote gelten nur für die echten Arzneimittel. | Wien.Pharmafirmen wird immer wieder versteckte Reklame für neue Medikamente vorgeworfen. Konkret wird "Disease Mongering" beanstandet, also die Erfindung von Krankheitsbildern, die in Fachzeitschriften und in öffentlich zugänglichen Medien lanciert werden, um wie nebenbei die entsprechenden Medikamente vorzustellen.


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Öffentliche Werbung für rezeptpflichtige Medikamente ist per Gesetz weitgehend verboten beziehungsweise streng reglementiert. Um das Werbeverbot für Arzneimittel zu umgehen, werden Medikamente nicht mit den Handelsnamen, sondern mit den Namen der Wirkstoffe erwähnt. Die Werbung wird also hinter gezielten "Informationen" versteckt.

Aber die Anbieter von Parapharmazie und Paramedizin können sehr wohl werben. Das wird nach allen Regeln der Kunst und besonders mit "Disease Mongering" gemacht. Unter dem Deckmantel der Information wird in Zeitschriften und Magazinen aus dem Wellness- und Gesundheitsbereich für solche "Medikamente" Propaganda gemacht, was das Zeug hält. Da es keine registrierten Medikamente sind, ist diese Werbung legal und vermittelt den Eindruck von Medikamenten ohne Nebenwirkung. Es ist aber ein Unterschied, ob etwas für Fachleute in Fachzeitschriften beworben wird, oder für etwas unter Laien geworben wird, die davon keine Ahnung und daher auch nicht die Möglichkeit haben, darüber kritisch zu urteilen.

Die Verhältnisse sind zwiespältig. So hat sich ein eigener Markt für Gesundheitsprodukte aller Art entwickelt, in dem die sonst strengen Vorschriften zum Schutz von Konsumenten und Patienten nicht greifen. Strenge Pharmakologen würden von Wundermittelhandel und Scheinmedikamenten sprechen. In Aufmachung und Bewerbung gleicht alles Medikamenten. Die Erzeuger betreiben Imagepiraterie. Sie vermarkten ihre Produkte mit dem Anschein eines modernen und wissenschaftlichen Arzneimittels, das aber wirksamer sei und keine Nebenwirkungen habe. Die hat nur die "Schulmedizin".

Dieses Trittbrettfahren im Gesundheitswesen zahlt sich aus. Man partizipiert am guten Image und gaukelt dem zum Gesundheitskonsumenten erhobenen Patienten zwischen den Zeilen eine unbeschwerte Wirksamkeit vor. Risiko, Vorschriften, Mühen, Nebenwirkungen und natürlich begrenzte und unzureichende Heilverfahren lastet man der Konkurrenz an.

Seltsame Epidemie unter jungen Frauen

Allen voran haben neuerdings die Joghurthersteller, so scheint es, "Disease Mongering" perfektioniert. Dank richtig gesunder Informationen meinen viele junge Frauen, an einer möglichen - aber jedenfalls umsatzträchtigen - Immunschwäche zu leiden, die fatalerweise zusätzlich an panflatische Figurprobleme gekoppelt ist. Das unausweichlich scheinende Dahinwelken kann nur durch Genuss eines Spezialjoghurts verhindert werden.

Was wohl die Marketingmanager dazu sagen würden, wenn die Epidemiologen dieses durch Werbung verbreitete und augenscheinlich nur das weibliche Geschlecht betreffende Massenleiden als "Morbus Danone" oder "Morbus Actimel" bezeichnen würden?

Der Laie, der ein Heilmittel kauft oder sich einer Therapie unterzieht, weiß nicht, ob er tatsächlich ein wirksames, ordentlich registriertes Medikament erwirbt oder für eine anerkannte Therapie sein Geld hergibt. Einfach ist es nicht, sich zu orientieren. Hinweise darüber, auf welche Art und Weise die Wirksamkeit überprüft wurde, gibt es keine. Einen Warnhinweis, der unmissverständlich klarmacht, dass die ausgelobten Wirkungen weder wissenschaftlich erklärt noch irgendwie nachgewiesen werden können, gibt es auf einem Homöopathikum oder irgendeinem Schüsslersalz nicht. Täglich verkünden die Medien die Vorzüge und Topqualität der alternativen und komplementären Medizin. Dem Laien fehlt aber für eine fachgerechte Beurteilung jede Grundlage.

Seine Entscheidung basiert auf äußerlichen Eindrücken, denn mehr steht ihm gar nicht zur Verfügung. Sei es, daß er eine Apotheke betritt, wo Heilsteine und Bachblüten neben Antibiotika und Zytostatika gleichberechtigt in der Vitrine liegen, oder dass er in einer Therapiestation mit Bioresonanz zusatzbehandelt wird. Im Gesundheitsbusiness hat sich "Wer heilt, hat recht!" nicht nur bewährt, sondern es gilt: "Wer verkauft, hat recht!" Der Umsatz bestimmt, was heilt.

Alte Irrtümer in modernen Gewändern

In unserer Bildungsgesellschaft gibt es natürlich Fortbildung und entsprechende Diplome von offiziellen Kammern, Berufsverbänden, Instituten und Akademien aller Arten bis hin zu universitären Lehrgängen. Besonders die neuen Universitäten, deren englische Titel hinter dem Namen angeführt werden, sind immer wieder eine Fundgrube für alte Irrtümer in modernen Gewändern.

Hier wird die Steigerung des Umsatzes mit dem Prinzip "Wer heilt, hat recht" akademisch bearbeitet. Die Fortbildung erhält einen neuen Sinn. So werden die Bedürfnisse des Marktes durch "fort von Bildung" beziehungsweise durch "eine Bildung, frei von Wissenschaftlichkeit", mit Bildungspunkten prämiert.

Die Umgestaltung der öffentlichen Pharmazie in einen umsatzorientierten Wunderladen schreitet voran. Nach dem schleichenden Wegfall der akademischen Medikamentdistribution hängt das Überleben der öffentlichen Apotheke vom Geschäft mit den Placebos ab. Und es sieht so aus, dass diesen Job den Apothekern niemand streitig machen will. Daher werden die Kenntnisse in Sachen Placebo und Co. intensiviert. Tankstellen und Drogerieketten wollen Aspirin verkaufen und nicht irgendwelche gerade modischen Homöopathika.

Garanten für die Placebowirkung

Wer sonst, wenn nicht Apotheker, könnte die Placebowirkung weiterhin garantieren? Diese Wirkung, die vor allem für die Mittel notwendig ist, die nach strenger Prüfung und wissenschaftlicher Kenntnis gar nicht wirken können, soll die Zukunft der Apotheke sichern. Voraussetzung ist, dass daran geglaubt wird. Dann hilft es und schafft Umsatz. Wenn wissenschaftlich ausgebildete Pharmazeuten und Pharmazeutinnen mitglauben, hilft es noch besser. Dem Placeboeffekt nachzuhelfen ist oberste Priorität des Apothekerstandes. Was Grander kann, das kann der Apotheker noch besser.

Zur Person

Der Pharmazeut Edmund Berndt, der für die "Wiener Zeitung" den obenstehenden Artikel verfasst hat, führt seit Jahren eine eigene Apotheke in Lenzing (OÖ). Dem grassierenden Esoterikboom - auch und vor allem in den Apotheken - tritt er ebenso vehement entgegen wie der sogenannten Alternativmedizin und deren Auswüchsen auf allen Gebieten.

Berndt sieht es deshalb als vordringliche Aufgabe an, die Konsumenten über das Geschäft mit der Gesundheit aufzuklären. Tat er dies bisher in deutschen Science-Blogs, so tut er es nun auch in seinem soeben in der Edition Vabene erschienenen Buch **"Der Pillendreh - Ein