Paris - Erstmals seit der Wiedereinführung des Amtes eines Pariser Bürgermeisters im Jahr 1977 - es war in der Zeit der Pariser Kommune 1871 abgeschafft worden - hat die französische Linke echte Chancen auf die Eroberung dieses einflussreichen Amtes. Der Sozialist Bertrand Delanoe liegt in allen Umfragen für die in zwei Wahlgängen am 11. und 18. März stattfindenden Kommunalwahlen klar voran.
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Das bürgerliche Lager, das seit 1977 den Pariser Bürgermeister stellte, ist tief gespalten und schickt statt dem derzeitigen Stadtoberhaupt Jean Tiberi, der in zahlreiche Affären verwickelt ist, den früheren Chef der Nationalversammlung und Kurzzeit-Parteichef der Neogaullisten, Philippe Seguin ins Rennen. Tiberi, der 1995 nach der Wahl Jacques Chiracs zum Staatspräsidenten als Chef ins Pariser Rathaus - Hotel de Ville - einzog, gibt sich aber nicht geschlagen und kandidiert ebenfalls für eine Wiederwahl. Als vierten ernstzunehmenden Kandidaten schicken die französischen grünen Yves Contassot ins Rennen.
Im 163 Mitglieder zählenden Gemeinderat, der in den 20 Arondissements der französischen Hauptstadt gewählt wird, hat die Rechte derzeit einen Überhang von 18 Sitzen. Meinungsumfragen sagen der Koalition der Linken "Gauche Plurielle" für die kommende Wahl einen Vorsprung von sechs Mandaten voraus. Wäre der Bürgermeister direkt zu wählen, würden 53 Prozent der Pariser ihre Stimme dem Sozialisten Delanoe geben. Die Linke, die bisher nur in sechs von 20 Stadtbezirken die Führung stellt, dürfte bei den Wahlen im März weitere neun dazugewinnen.
Das Ringen der beiden Hauptkonkurrenten Delanoe und Seguin könnte auch als der Kampf der "Tunesier" in die Pariser Kommunalgeschichte eingehen. Der 51-jährige Delanoe, der sich offen zu seiner Homosexualität bekennt, wurde in Bizerta geboren, lebt aber seit seinem 23. Lebensjahr in Paris. 1981 im Gefolge des Mitterandsieges bei der Präsidentenwahl wurde er erstmals ins Parlament gewählt. Derzeit vertritt er die sozialistische Partei im Pariser Gemeinderat. Delanoe, in der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt, war eigentlich nicht die erste Wahl der Linken im Kampf um das Pariser Rathaus. Eigentlich hatte man damit gerechnet, dass der populäre Kulturminister Mitterands, Jacques Lang, oder Finanzminister Dominique Strauss-Kahn die Nachfolge Tiberis anstreben. Doch Lang ist als Erziehungsminister unabkömmlich und Strauss-Kahn musste sich wegen einer Finanzaffäre aus der Politik zurückziehen. So wurde Delanoe die Nummer 1 der Linken und 450 Persönlichkeiten der Pariser Gesellschaft sagten ihm jüngst im Pariser Jazz-Tempel New Morning ihre Unterstützung zu.
Von ganz anderem Kaliber ist da der Kandidat der Neogaullisten, Philipp Seguin. Der 1943 in Tunis Geborene ist seit 1978 Parlamentsmitglied, bekleidete jahrelang den Posten des Bürgermeisters in Epinal in den Vogesen, war bereits Minister, Vorsitzender der Nationalversammlung und von 1997 bis 1999 Parteichef der Neogaullisten. Er, den die Zeitung "Le Monde" einmal wegen seiner legendären Zornausbrüche als "Le colosse" bezeichnete, muss sich im Wahlkampf mit den Affären der beiden bisherigen konservativen Bürgermeister Jacques Chirac und Jean Tiberi auseinandersetzen.
Der sich abzeichnende Sieg Delanoes beunruhigt die schwer gebeutelte konservative Opposition aber auch deshalb, weil man befürchtet, dass aus den Kellern des Pariser Rathauses noch so mancher belastende Akt über unklare Wahlkampffinanzierungen der Neogaullisten auftauchen könnte, der im kommenden Jahr bei den anstehenden Wahlen für die Präsidentschaft und die Nationalversammlung zur Tretmine würde und die Chancen Chiracs auf eine Wiederwahl zunichte machen könnte.