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Der unbekannte Konsument

Von Solmaz Khorsand

Politik

Werbung sieht Migranten nicht länger als Gastarbeiter oder Kriegsflüchtlinge.


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Wien. Ein bisschen hilflos stehen manche Unternehmensvertreter in Manuel Bräuhofers Büro. Eigentlich hätten sie vom Marketingexperten nur gerne eine ganz einfache Gebrauchsanleitung. Wie tickt der Türke? Welche Knöpfe muss ich beim Serben drücken, damit er mein Produkt kauft? Womit kann ich den Chinesen locken?

Österreichische Unternehmen entdecken den Migranten für sich. Er ist nicht länger Gastarbeiter oder Kriegsflüchtling. Er ist Konsument. Einer mit einem Kaufkraftvolumen von 20 Milliarden Euro. So viel geben Österreichs Migranten im Jahr aus, wie das Marktforschungsinstitut RegioData erfasst hat. Es ist eine attraktive Zielgruppe. Knapp 19 Prozent der österreichischen Bevölkerung haben einen Migrationshintergrund, in Wien sind es über 40 Prozent. Und es sind nicht länger die armen Schlucker, die sich das Geld absparen, um es dann in die Heimat zu schicken. Sondern sie konsumieren hier und jetzt.

Türken sind werbeaffiner als Österreicher

2007 gründete Bräuhofer die Agentur "Brainworker". Sein Fokus: Ethnomarketing. Terra incognita in Österreich. "Wozu brauche ich das?" und "Wir sind hier in Österreich, die Migranten sollen Deutsch lernen" waren die ersten Reaktionen, die Bräuhofer zu hören bekam. Viel musste er an Aufklärungsarbeit leisten. Und muss es immer noch. In seinem Praxishandbuch "Ethnomarketing in Österreich" erklärt er Unternehmen, warum es sich auszahlt, auf Migranten zuzugehen. Beispielsweise haben Studien gezeigt, dass Türken werbeaffiner seien, dass sie eher auf Flugblätter achten und sie die Werbeunterbrechungen im Hauptabendprogramm eher tolerieren als die Österreicher. "Die Familienverbände sind größer und das Haushaltseinkommen ist immer noch geringer als jenes der Mehrheitsbevölkerung, deswegen wird mehr auf Aktionen und Rabatte geachtet", erklärt Bräuhofer. Für Unternehmen sind solche Informationen Gold wert. Und wer sie bereitstellen kann, ist am Puls der Zeit. 2010 wurde daher das Marktforschungsinstitut "EthnOpinion" gegründet, ihre Betreiber sind die PR-Agentur Skills Group, die Stadtzeitschrift "biber" und das Marktforschungsinstitut meinungsraum.at. Rund 4800 Befragungswillige aus diversen Communities sind auf EthnOpinion registriert. Die Fragebögen werden auf Deutsch, aber auch in der Muttersprache der Befragten angeboten. Die Interviews werden von Mitarbeitern mit Migrationshintergrund geführt.

Viel mussten sie anfangs lernen, erinnert sich Meinungsforscherin Christina Matzka, Projektleiterin bei meinungsraum.at. "Die Migranten sind ungeduldiger, emotionaler und hauen leichter den Hut darauf bei einer Befragung, wenn es sie nicht interessiert", sagt sie, "das ist eine Mentalitätsfrage, aber man kann nicht alle in einen Topf werfen."

Man begann die Fragen zu bündeln, die Interviews kürzer zu halten und die Befragten mit emotionaleren Themen anzusprechen. "Bei Migranten ist die Mundpropaganda das Um und Auf", erklärt Matzka. Diesen Vorteil hätten die meisten Unternehmen noch nicht erkannt. "Wenn ich einen Migranten von meinem Produkt begeistere, dann kann ich davon ausgehen, dass es weite Kreise zieht - natürlich auch im negativen Sinn", sagt Matzka.

Der Österreicher, der Individualist, der Migrant, das kommunikationsfreudige Herdentier? Schwarz-Weiß-Malerei, die in der Integrationsdebatte für Kontroversen sorgt, kann die Werbung für sich nützen.

"Ethnomarketing ist kein Charity Modell, sondern ein Business-Modell", sagt Manuel Bräuhofer. Es geht nicht um Wählerstimmen, sondern um höhere Umsätze - denn, wer die Nische nicht für sich besetzt, überlässt anderen Playern den Raum. Bis dato hätten das vor allem Banken und Telekommunikationsfirmen erkannt. Die Raiffeisen Bank, einer von Bräuhofers Kunden, gilt als Ethnomarketing-Pionier in Österreich. In Wien werden 20 Prozent aller ihrer Filialen, als "Ethnofilialen" geführt, in denen Mitarbeiter die Kunden auch in den Muttersprachen Türkisch und Serbokroatisch betreuen können.

Zwischen Sensibilisierung und Stereotypen

Auch in Sachen Werbung hat sich Raiffeisen einiges überlegt. Beispielsweise wirbt die Bank mit einem türkischen Paar für einen Hochzeitskredit. Die Braut trägt eine rote Schleife um die Taille. Für den Österreicher ist das ein hübsches unauffälliges Accessoire, für den Türken das Symbol für Jungfräulichkeit.

Zu einer Gratwanderung wird Ethnomarketing, wenn manche Symbole weniger auffällig gestaltet werden. 2010 versuchte sich der heimische Milchproduzent NÖM im Ethnomarketing. NÖM-Milch hieß in türkischen Supermärkten nun nicht länger Milch, sondern "Süt." In der Community ein Erfolg. In der Mehrheitsbevölkerung weniger. Die Aktion löste eine Protestwelle im österreichischen Boulevard aus.

In der Regel werben Unternehmen abseits der Mehrheitsbevölkerung bei Migranten. Man übersetzt die vorherrschenden Sujets auf Türkisch, Serbokroatisch etc., schaltet sie in den jeweiligen Medien und hofft dann auf Zuwächse. Uninspiriert sind manche dieser Einsätze, mitunter plump, und sie bedienen Klischees und bestärken Stereotype.

Das Wiener AMS ist 2010 mit einem Comic in so ein Fettnäpfchen getreten. Zu sehen war eine Gruppe Jugendlicher, darunter Yasmin, ein türkisches Mädchen mit Kopftuch, das davon spricht, Zahnärztin werden zu wollen. Doch weil ihr das Studium zu lange dauert, entscheidet sie sich doch, Zahntechnikerin zu werden. Was ist die Botschaft? Rät man türkischen Mädchen vom Studium ab?

Bräuhofer macht klar: Ethnomarketing ist eine Disziplin, die gelernt sein will. Er ist überzeugt, dass Unternehmen damit einen Beitrag zur Integration leisten können. "Es ist sehr wohl Inklusion, wenn ich österreichische Werte und Normen in einer anderen Sprache an die Leute bringe", meint er. Und wenn die Mehrheitsbevölkerung in großen Lettern liest, dass in einer Bankfiliale türkisch gesprochen wird, setze das ein Zeichen. Auch wenn es nur aus wirtschaftlichem Kalkül gesetzt wird.

Für die Werbung sind alle gleich. Sie reduziert den Konsumenten auf eines: seine Geldbörse. Egal, wem sie gehört.