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Der unerwartete Sieg der Götter

Von WZ-Korrespondentin Padma Rao

Politik

Wie ein indisches Naturvolk einen Weltkonzern in die Schranken wies.


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Neu-Delhi. "Euren Gott schließt ihr in Häuser weg, aber unser Gott lebt im Freien", donnert Lada Sikaka aus dem Dorf Lakhapadar im Gebiet Kalahandi. Der junge Mann ist sichtlich stolz darauf, was er und die anderen Einwohner des kleinen Weilers zustande gebracht haben.

Lakhapadar ist so abgelegen, dass kaum jemand in Indien je seinen Namen gehört hat. Aber das Volk der Dongria Kondh, das dort lebt, kennt man jetzt auf der ganzen Welt, denn sie haben einen Weltkonzern in die Schranken gewiesen und ganz nebenbei Indien ein bisschen demokratischer gemacht.

Lakhapadar und elf weitere Dörfer der Dongria Kondh waren vom indischen Supreme Court aufgefordert worden, zu entscheiden, ob das britische Bergbauunternehmen Vedanta auf der Spitze des Berges Niyamdongri, der in der Region als Heiligtum gilt, eine Bauxitmine errichten darf. Lakhapadar ist bei der Abstimmung als Zehnter an der Reihe und schon bisher haben alle Dörfer gegen die Pläne von Vedanta gestimmt. In den kleinen Gemeinden hatten sich dabei überall ähnliche Szenen abgespielt. Frauen mit Babys in Wickeltüchern und Männer mit bunten Fahnen in den Händen skandierten lauthals Parolen wie "Dies ist unser Land, unser Wald, Vedanta verschwinde."

Sobald die letzten Dörfer abgestimmt haben, muss der Genehmigungsantrag für die Mine einer staatlichen Umweltkommission vorgelegt werden und es steht so gut wie fest, dass das Vorhaben des Bergbauunternehmens damit endgültig begraben wird.

Man kann den Fall - je nach Perspektive - als Hindernis im Wettrennen zwischen Indien und China sehen oder als Sieg der Demokratie. Aber gewonnen haben in jedem Fall die Dongria Kondh. Das heute rund 8000 Menschen zählende Volk bewohnte den Subkontinent schon lange vor der Ankunft anderer Ethnien, vor Politik und Religions- und Kastenkriegen. Wie alle Stämme sind die Dongrias Animisten. Der Berg Niyamdongri ist die Quelle ihres Lebensunterhalts, denn in seinen Wäldern sammeln sie alles, was sie zum Leben brauchen. Darum ist der Berg zugleich der heilige Schrein von Niyam Raja, ihrem Gott, den sie mehrmals täglich anbeten.

Vom Staat vergessen

Frauen in handgesponnenem Gewand mit mehreren Nasenringen und bunten Haarnadeln. Muskulöse Männer, die mit entblößtem Oberkörper auf Palmen klettern und ihren süßen Grog abzapfen. Sanfte, waldbedeckte Hügel, über deren Spitzen Wolken und Nebel dahinziehen: Als romantisches Idyll mag Menschen aus dem Westen die Lebenswelt der Dongria Kondh erscheinen. Doch dieser Zustand ist auch ein Produkt systematischer Vernachlässigung. Denn während der 66 Jahre seit der Unabhängigkeit konzentrierten sich fast alle indischen Regierungen ausschließlich auf die Entwicklung der Großstädte. Wie viele andere Gegenden Indiens blieb auch Kalahandi unterentwickelt und vom Rest des Landes abgeschnitten. Immer wieder sorgen hier schlimmen Naturkatastrophen für massive Zerstörung.

Indiens indigene Völker werden zwar durch Sondergesetze geschützt. Doch Sozialwissenschafter weisen immer wieder auf die mangelnde Implementierung dieser Schutzregelung hin. In den entlegenen Teilen des Landes, wo es noch immer an Trinkwasser, Schulen und Strom mangelt, besitzen Verfassungsrechte nicht immer faktische Wirksamkeit.

Doch die Dongria Kondh selbst scheinen diese Mängel nicht übermäßig zu stören. Alles, was sie für ihren Lebensunterhalt benötigen, gebe es hier, sagen sie: Wasser aus gurgelnden Bächen, Obst, Gemüse und Heilkräuter aus dem Wald. Trotz des Mangels an Wasserhähnen, Fernsehen und Internet waren sie schon immer zufrieden, behaupten sie. Bis die Welt anfing, Orissas reiche Bodenschätze zu begehren.

Indien ist einer der größten Produzenten von Bauxit in der Welt. Etwa 70 Prozent der Bauxitreserven Indiens liegen in Orissa, die meisten davon in Kalahandi, und so ist es auch kaum verwunderlich, dass es Vedanta dorthin zog. Im März 2007 und nach einer Wartezeit von fast zehn Jahren für die ersten Genehmigungen eröffnete das britische Bergbauunternehmen eine Aluminium-Raffinerie in Lanjigarh, einem kleinen Dorf in Kalahandi. In dieser Zeit entdeckten die Geologen der Firma auch den 20 Kilometer entfernten heiligen Berg Niyamdongri als gut erreichbare Quelle für Bauxit, den Rohstoff für die Herstellung von Aluminium.

Verschmutzte Flüsse

Anfangs hatten sich die Dorfbewohner Lanjigarhs geweigert, ihre Hütten und Grundstücke zu verlassen. Doch bald wurden sie von der Polizei und von Gruppen bewaffneter Unbekannter vertrieben. Doch die Raffinerie bei Lanjigarh geriet in die Kritik, sowohl von Seiten der Umweltschutzbehörde des Bundesstaates Orissa als auch durch Menschenrechtsgruppen. Einheimische berichteten über giftige Flugasche auf ihren Feldern, ihrer Kleidung und in ihrer Nahrung. Abwässer der Raffinerie sickerten in den Boden und verschmutzten den nahen Fluss. Immer häufiger wurden Krankheiten gemeldet: Hautausschläge, Sehstörungen, sogar Fälle von Tuberkulose. Nichtregierungsorganisationen kamen nach Kalahandi, um die Dorfbewohner beim Kampf gegen das mächtige Unternehmen zu unterstützen.

Vedanta machte sich im Gegenzug eiligst an die Schadenbegrenzung, Image-Kampagnen und "Feel-good"-Werbefilme liefen in den Medien an. Sie zeigten Frauen der Dongria Kondh im Sari statt in ihrem traditionellen Gewand und in Zementhäusern lebend. Vendata - so hieß es in den Filmen unter anderem - habe das Leben der Frauen verbessert, die nun dank der neuen Wasserleitungen nicht mehr meilenweit schwere Töpfe schleppen müssten. Ironischerweise lobte sich das Unternehmen dafür, dass die Dörfer nun endlich "behandeltes Wasser" erhielten - aus dem gleichen Fluss, den die Abwässer der Raffinerie verschmutzt hatten.

Die Geschichte verbreitete sich. Nachdem auch die Bauxitmine auf dem Niyamdongri provisorisch bewilligt wurde und Planierraupen anfingen, sich in Richtung Kalahandi zu bewegen, erhielten die Proteste der Dongria Kondh Unterstützung durch internationale und indische Prominente wie Michael Palin und Arundhati Roy. Bedeutende Vedanta-Aktionäre wie die Kirche von England oder Norwegens Rentenfond kehrten der Firma den Rücken. Internationale Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International oder Survival International starteten globale Kampagnen. Selbst auf der Hauptversammlung der Deutschen Bank, die ein wichtiger Finanzpartner von Vedanta ist, hielt der aus Orissa stammende Aktivist Samarendra Das eine Rede: "Ich bin mir sicher, dass keiner von Ihnen Vedanta unterstützen würde, wenn es um Ihre Heimat ginge", sagt er damals.

"Die Abstimmung in Kalahandi ist bei weitem noch kein Sieg", sagt allerdings Lingaraj Azad, ein Stammesangehöriger und Aktivist in Kalahandi. "Denn die von Vedanta sind nicht die Einzigen. Wie die Geier kreisen viele andere Firmen um unser Gebiet." Doch auch der weltweite Aktivismus gegen Vedanta gerät zunehmend in die Kritik. "Die indigenen Völker sollen ihr ursprüngliches, harmonisches Leben in der Natur ohne Schulen, Krankenversorgung, Strom und Aufstiegsmöglichkeiten beibehalten", ätzte etwa die Kolumnistin Tavleen Singh in der Tageszeitung "Indian Express". "Sind die Dongria auf dieser Weise wirklich glücklich? Oder ist es nicht eher so, dass hier NGOs blühende Geschäfte mit der Romantisierung von hoffnungsloser Armut machen und den Stämmen eine Lebensweise empfehlen, die ihre Mitarbeiter und Unterstützer keinen einzigen Tag aushalten würden?"

Tatsächlich war Kalahandi schon immer für Not und Elend bekannt. Aber Bergbau ist nicht die einzige Entwicklungschance. In den letzten 15 Jahren wurde kräftig investiert, unter anderem in die Landwirtschaft. Heute gilt Kalahandi etwa als Hauptquelle für Reis in Orissa. Selbst einige Mitglieder der Dongria Kondh sind nicht gegen die Bauxitmine. "Ich habe erfahren, dass Vedanta nicht den gesamten Berg sprengen will, sondern für die Bauxiterzeugung nur bis zu 6 Metern graben wird und die Oberfläche wieder mit Pflanzen abdecken will", sagt Jitu Jakasika, einer der Ureinwohner, dem Vedanta angeblich zu einem Schulabschluss verholfen hat. "Diese Anti-Vedanta-Gruppen haben uns angelogen."

Erwachende Zivilgesellschaft

In jedem Fall ist Kalahandi kein Einzelfall mehr. Überall in Indien gibt es mittlerweile Infrastrukturprojekte, die durch Protestbewegungen blockiert sind. In Südindien machen Bauern und Fischer gegen ein Atomkraftwerk mobil, im Westen des Landes wird gegen den Ausbau des Autobahnnetzes protestiert. Werden ausländische und indische Investoren sich irgendwann ganz zurückziehen und das Wachstum des Landes abwürgen? Ist Indiens Demokratie seinem Anspruch, eine der Wirtschaftsmächte der Zukunft zu sein, gewachsen?

Der Fall Kalahandi zeigt jedenfalls, dass Indiens Zivilgesellschaft zu erwachen beginnt und dass es deutlich schwieriger wird, den Willen der Menschen zu ignorieren. "Unser Hügel ist heilig, weil er unser Lebensunterhalt ist", sagt Lingaraja Azad. "Aber heilig sind auch das Meer und der Boden. Wenn Entwicklung unsere Lebensquelle wegnimmt, werden wir landesweit und lebenslang Widerstand leisten."