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Der ungeliebte Pflichtgast

Von Ronald Schönhuber

Politik

Der abgesetzte ukrainische Präsident meldet sich aus Russland zu Wort.


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Kiew. Fast eine Woche lang hatte die Gerüchteküche in Kiew wild gebrodelt. Ein russisches Kriegsschiff? Das Kloster des Heiligen Nikolai, das über einen drei Stockwerke tiefen Bunker verfügt? Oder die ostukrainische Industriestadt Donezk, in der Wiktor Janukowitsch geboren wurde und wo viele Fäden in den Händen des mächtigen Oligarchen Rinat Achmetow zusammenlaufen?

Seit Freitag hat das Rätselraten um den Verbleib des abgesetzten ukrainischen Präsidenten jedenfalls ein Ende. In der westrussischen Stadt Rostow am Don, knapp 200 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt, trat um kurz nach 14 Uhr ein grau und fahl wirkender Janukowitsch erstmals seit seinem Verschwinden wieder an die Öffentlichkeit. Es mussten allerdings nur wenige Minuten vergehen, um klarzumachen, dass sich die vergangenen Tagen zwar auf die Physis des bulligen 63-Jährigen niedergeschlagen haben, nicht aber auf dessen Haltung.

Er sei nach wie vor der legitime Präsident der Ukraine und nicht abgesetzt, erklärte Janukowitsch vor dutzenden angereisten Reporten. Er habe die Ukraine nur verlassen, weil nach der Machtübernahme einer "nationalistischen, faschistischen Minderheit", sein Leben und die Leben seiner Angehörigen bedroht gewesen seien. Für den Umsturz in seinem Land machte Janukowitsch den Westen verantwortlich, der die "Banditenführung" in Kiew unterstützt habe.

Im Rahmen der Pressekonferenz kündigte Janukowitsch auch an, in die Ukraine zurückkehren zu wollen, sobald es internationale Garantien für seine Sicherheit gebe. Doch angesichts der derzeitigen Stimmung in Kiew dürfte es auch Janukowitsch bewusst sein, dass er wohl für längere Zeit in Russland gestrandet ist.

Dass man hier über den neuen Gast nicht unbedingt glücklich ist, ist allerdings mehr als offensichtlich. Noch als die Proteste auf dem Maidan ihrem Höhepunkt entgegenstrebten, hatte die Führung in Moskau deutlich ihren Unmut darüber artikuliert, dass der Zwei-Meter Mann aus dem Donbass den Aufstand nicht unter Kontrolle bringen konnte. Wie groß die Verärgerung dabei war, wurde Janukowitsch vor allem von Ministerpräsident Dmitri Medwew vermittelt. Sein Land wolle nicht mit einer ukrainische Führung zusammenarbeiten, auf der das Volk "herumtrample wie auf einer Fußmatte", hatte Medwedew damals erklärt.

Lackmus-Test für Putin

Hinzu kommt, dass Janukowitsch und Russlands Präsident zwar eine politische Partnerschaft verband, von der von Wladimir Putin so gerne gepflegten "Männerfreundschaft" waren die beiden allerdings weit entfernt. Janukowitsch wird im Kreml als schwach, wankelmütig und tollpatschig angesehen, ein Führer, der genau dem Gegenteil des von Putin so gerne inszenierten Bildes des starken Mannes entspricht. "Ich glaube sogar, Putin hasst Janukowitsch", sagt der Politologe und Kreml-Berater Sergej Markov gegenüber der "New York Times".

Dass Putin nun dennoch seine schützende Hand über Janukowitsch hält, hat freilich triftige Gründe. Denn in der gegenwärtigen Auseinandersetzung um die Ukraine, die von Moskau als Wiege der russischen Zivilisation und als unverzichtbares Element für die zu schaffende eurasische Union angesehen wird, geht es weit mehr als um das Nachbarland. Der Umgang Putins mit der Krise in der Ukraine ist auch ein Lackmus-Test für den Einfluss Moskaus und das Vermögen, den Kreml-freundlichen Autokratien in Russlands politischem Hinterhof Schutz und Beistand zu gewährleisten. Würde man Janukowitsch nun wie eine heiße Kartoffel fallen lassen, wäre das ein fatales Signal gegenüber jenen befreundeten Machthabern, die sich mit Demokratiebewegungen oder zunehmendem Widerstand konfrontiert sehen. Die Aussicht, einmal vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu landen - dorthin will das ukrainischen Parlament Janukowitsch wegen Massenmords überstellen - dürfte selbst bei hartgesottenen Autokraten Wirkung zeigen.

Auf den starken Rückhalt aus Moskau haben in den vergangenen Jahren einige Länder vertraut. So gilt etwa der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko als enger Verbündeter Moskaus, die dortigen Solidaritätskundgebungen für die ukrainische Protestbewegung wurden von der Polizei sofort niedergeschlagen (siehe Seite 5). In Transnistrien, jenem kleinen Landstreifen am Dnjestr, der sich 1990 von der Republik Moldau losgesagt hat, verfolgen die Regierungen seit der Abspaltung eine strikt prorussische Politik. Moskau gilt dabei auch als Bollwerk gegen Gebietsansprüche der Republik Moldau, die die Abspaltung offiziell nie anerkannt hat. In Armenien gilt die Regierung zwar ebenfalls als strikt prorussisch, doch bei weitem nicht alle im Land sind mit dem starken Einfluss Moskaus einverstanden. Als Putin im Dezember Armenien besuchte, kam es in der Hauptstadt Eriwan zu Protesten. "Gegen eine Wiederrichtung der Sowjetunion", stand damals auf den Plakaten der Demonstranten zu lesen. Kurz davor hatte die bitterarme Ex-Sowjetrepublik auf den Druck Moskaus hin auf ein Assoziierungsabkommen mit der EU verzichtet.