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Der unheilvolle Pakt mit Erdogan

Von Stefan Haderer

Gastkommentare

Warum am europäischen Konfliktlösungspotenzial zu zweifeln ist.


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In der Wahl ihrer Verbündeten handeln die EU-Regierungschefs nicht immer weise - bedenkt man etwa die enge Abstimmung unserer Außen- und Sicherheitspolitik mit den USA, die Europa für so manche militärische Abenteuer motivieren, den kleinen Bruder in der Flüchtlingskrise jedoch im Regen stehen lassen.

Das am Montag in Kraft getretene Abkommen mit der Türkei schien für viele eine unumgängliche Lösung, aber der Schuss geht hier wohl oder übel nach hinten los. Der Pakt mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan kostet die EU jährlich ungefähr drei Milliarden Euro ohne jede Garantie, denn an der Beseitigung der Konfliktursachen wird nicht gearbeitet. Durch seinen radikalen Anti-Assad-Kurs und mehr oder weniger geheime Waffentransporte an IS-Kämpfer hat Erdogan den Bürgerkrieg weiter angeheizt. Jetzt sieht sich der Staatschef zusätzlich mit Vorwürfen konfrontiert, Syrer zum Teil über die Grenze ins Kriegsgebiet zurückzuschicken. Außerdem seien regionale Behörden nicht ausreichend über die aus Griechenland abgeschobenen Flüchtlinge informiert.

Es sei hauptsächlich ein Mangel an gegenseitigem Vertrauen, das der erfolgreichen Kooperation zwischen der EU und der Türkei im Wege stehe, betont EU-Diplomat Marc Pierini in einer Analyse für das Carnegie Endowment for International Peace.

In der Tat mag man Bedenken gegen ein Staatsoberhaupt haben, das womöglich die europäische Finanzspritze für eigene Anliegen - etwa für aggressive Feldzüge gegen die Kurden im Osten des Landes - benutzt. Selbst internationalen Organisationen wird die effektive Kontrolle über die rechtmäßige Umsetzung des Abkommens schwer gemacht werden, denn die Türkei wird auf Souveränität beharren und daher nicht die notwendige Transparenz gewährleisten.

Auf der anderen Seite erhebt auch Erdogan Vorwürfe gegen einzelne EU-Mitgliedsstaaten wie Belgien, dessen Behörden den von der Türkei abgeschobenen Brüsseler Attentäter Ibrahim El-Bakraoui trotz Warnungen wieder auf freien Fuß gesetzt hätten.

In der türkischen Bevölkerung werden außerdem jene Stimmen lauter, die die symbolischen Trauerbekundungen des Westens wie zum Beispiel die Beleuchtung des Pariser Eifelturms in den Nationalfarben Belgiens nach den Anschlägen vom 22. März 2016 als scheinheilig bezeichnen. Sie kritisieren, dass die Reaktionen der europäischen Regierungen auf die jüngsten Anschläge in Istanbul und Ankara weit weniger solidarisch gewesen seien.

Es ist offensichtlich, dass beide Vertragspartner unterschiedliche Ziele verfolgen: Während die EU auf die Eindämmung von Flüchtlingen hofft und gleichzeitig einen "Krieg gegen den Terrorismus" führt, will sich Erdogan an der kurdischen PKK rächen, die er als die größere Gefahr betrachtet. Im selben Atemzug hat der türkische Präsident Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit für "wertlos" erklärt und den "Dissidenten" im Land gedroht.

Wenn unter derartigen Voraussetzungen der EU-Türkei-Deal als Erfolg verkauft wird, mag man zu Recht am europäischen Konfliktlösungspotenzial zweifeln.

Stefan Haderer ist Kulturanthropologe und Politikwissenschafter.