Heranwachsen unter erschwerten Umständen und neue Ängste in Zeiten von Corona.
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Schule ist mehr als ein Ort des Lernens, sie ist vertrauter Begegnungsraum im täglichen Miteinander, Nebeneinander und Gegeneinander, sie ist wie ein lebendiger Organismus, zu dem mit dem Coronavirus ein neues Element hinzugekommen ist, das die gewohnte Dynamik krass verändert. Mindestens neun Jahre Lebenszeit verbringen Schüler im Klassenzimmer, währenddessen wachsen und reifen die Jugendlichen als Person, denn Entwicklung passiert unabhängig davon, ob wir sie aktiv gestalten oder passiv hinnehmen. Mit der Pandemie und der daraus resultierende Schulpolitik sind zwei Erschwernisse dazugekommen.
Als ob Jugendliche mit ihrer eigenen Pubertät nicht schon genug zu tun hätten, wird das Heranreifen seit einigen Monaten durch die Ungewissheit im Umgang mit Corona kompliziert. Auf die Frage, wovor Jugendliche heute am meisten Angst haben, erfahren Lehrende von der Sorge, Mitschüler oder Lehrer anzustecken oder Corona sogar von der Schule nach Hause zu bringen. Die Angst voreinander nimmt zu, häufig sitzen die Schüler im Klassenzimmer wie paralysiert in ihren Bänken. Ihre Angst ist greifbar. Im Falle einer Erkrankung stigmatisiert zu werden, bekümmert Jugendliche dabei interessanterweise weniger; viel stärker ist die Angst, gesellschaftlich verurteilt zu werden, wenn sie in der herausfordernden Situation nicht vorbildhaft agieren.
Alltägliches wie die spontane Umarmung eines Freundes, der eine gute Note geschrieben hat, wird gebremst. Dabei erwischt zu werden, macht zu viel Angst. Jüngere Schüler fühlen sich von der vertrauten Gruppe ausgeschlossen, wenn der eigene Corona-Test in der Früh positiv ausfällt und die Mitschüler in der Klasse unwillkürlich vor ihnen zurückweichen. Beruhigende und aufklärende Worte einer Lehrkraft könnten zwar helfen, ein Trösten mit Berührung wäre aber deutlich besser. Dagegen steht jedoch die Angst, einander zu nahe zu kommen. Maturanten haben zudem die Angst, die Matura nicht schreiben zu können, weil sie just an diesen Tagen erkranken könnten. Auch die Angst, etwas zu verpassen, beziehungsweise davor, dass die Zukunft nicht mehr normal werden könnte, begleitet sie heuer in die Sommerwochen.
Durch den Umgang mit Corona sind zwischenmenschliche Begegnungen an der Schule unsicherer geworden. Egal ob das Tuscheln mit der besten Schulfreundin am Mädchen-WC, das erste versteckte Knutschen in einer Schulecke oder das vertrauensvolle Gespräch mit dem Lehrer am Gang - die Angst vor dem Coronavirus spielt heute immer mit, vergleichbar einem unsichtbaren und unheimlichen Dritten. Und natürlich ist es gut und richtig, dem Virus den nötigen Respekt zu zollen; trotzdem dürfen wir uns nicht von der Angst bezwingen lassen. Oder um es mit Viktor Frankl zu sagen: Wir müssen uns von der Angst nicht alles gefallen lassen.