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Wie Karl Renner in der österreichischen Unabhängigkeitserklärung 1945 den Hitler-Gegnern eine Ohrfeige verpasste.
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Österreich feiert seine Wiedergeburt und deren Dokument, die Unabhängigkeitserklärung. Grund zum Feiern fürwahr. Aber vielleicht sollte man bei diesem Anlass doch auch erwähnen, dass die Präambel nicht nur die bekannten Lebenslügen und Selbstreinwaschungen enthält, sondern auch eine schallende Ohrfeige für alle, die frühzeitig erkannt hatten, wohin der Nationalsozialismus führen musste.
Genau das war er nämlich, der Nebensatz, in dem Karl Renner, dem wir diesen Text verdanken, die Behauptung aufstellt, dass Adolf Hitlers "sinn- und aussichtslosen Eroberungskrieg (. . .) kein Österreicher (. . .) jemals vorauszusehen oder gutzuheißen instand gesetzt war".
Eine schallende Ohrfeige für alle, die diesen Krieg sehr wohl bereits bei Hitlers Griff nach der Macht vorausgesehen hatten. Und das waren viele. Dass Hitler Krieg bedeutete, war eines der wichtigsten Motive der Hitler-Gegner. Alle, die ihn früh durchschaut hatten und am 28. April 1945 eines der wenigen Exemplare des "Neuen Österreich" ergattern konnten und die Präambel lasen, durften rätseln, ob sie eine mit Vorbedacht oder bloß im Übereifer nach der falschen Seite ausgeteilte Ohrfeige empfangen hatten.
Die Lebenslügen in der Präambel werden damit entschuldigt, Österreich habe seine Stellung als Opfer Hitlers und befreites Land betonen müssen. In diesem Sinne war jene Stelle aber eher kontraproduktiv. Was sie tatsächlich war: Selbstverteidigung eines Rechthaberischen, der 1938 versagt hatte und es anderen nicht gestattete, dass sie in der Lage gewesen waren, zu erkennen, was er nicht hatte rechtzeitig erkennen wollen. Dies auch noch in die Gründungsurkunde der Zweiten Republik hineinzuschreiben, war ein starkes Stück.
Es gab aber auch noch den anderen Karl Renner, den Demokraten. Er war 1945 ein alter Fuchs im Vollbesitz seiner Künste, und dieser Renner schrieb den berühmt-berüchtigten Schmeichelbrief an Josef Stalin, den ihm Leute, die ihn nicht genau gelesen haben, posthum unter die Nase reiben. Zu Unrecht, denn in die Zuckerwatte der Lobeshymnen auf Stalin war gleich am Anfang ein schwerer Tabubruch eingebaut, ein böser Widerhaken, und zwar der Hinweis auf Renners Beziehung zu Leo Trotzki.
Renner wusste natürlich, dass es in der Sowjetunion ein todeswürdiges Verbrechen war, diesen Namen in den Mund zu nehmen, außer, um ihn zu verdammen, und Stalin wusste, dass Renner es wissen musste. Er konnte die Erwähnung Trotzkis nur als Hinweis verstehen, dass Renner nicht die Rolle einer willfährigen Marionette zu spielen gedachte - oder als Ungeschicklichkeit eines gealterten Mannes, mit dem er leichtes Spiel zu haben glaubte.
Ein taktisches Meisterwerk. Wenig später sprach Renner auf der Rampe des schwer beschädigten Parlaments vor der sowjetischen Generalität und der Presse den "heiligen Eid" in die Mikrofone, so schnell wie möglich demokratische Wahlen abzuhalten. Er kannte Stalin. Der alte Fuchs hatte gewaltige Schattenseiten, aber er war Österreichs rechter Mann zur rechten Zeit am rechten Ort.