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Der Unterschied zwischen Chaos und Chaos

Von David Ignatius

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Die Rückzugsstrategie der USA aus Afghanistan erscheint gut durchdacht, auch nach der Katastrophe vom vorigen Sonntag in Kandahar.


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Menschen drehen manchmal durch, wie der US-Soldat vorigen Sonntag, als er seine Basis außerhalb von Kandahar verließ und in einem offensichtlichen Anfall von Wut und Frustration afghanische Zivilisten tötete. Aber Staaten sollten nicht durchdrehen. Auch unter dem Druck eines Kriegs, der manchmal entsetzlich schiefzugehen scheint, sollten sie vorsichtig vorgehen, damit sie nicht noch mehr Chaos und Tote hinterlassen.

Einige der jüngsten Ereignisse in Afghanistan zeigen den Militäreinsatz der USA von seiner schlechtesten Seite: Urinieren auf tote Gegner, unbeabsichtigtes Verbrennen des Koran, ein wahnsinniger Soldat, der Zivilisten tötet. Die meisten US-Truppen haben nichts dergleichen getan. Solche Vorfälle sind die Ausnahme. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass in solchen Momenten sichtbar wird, wie Krieg anständige Menschen und Staaten entarten lassen kann.

Die Frage ist nicht die Natur des Krieges, sondern wie er zu beenden ist. Und dabei sind die Gefühlsreaktionen dieser Woche eher irreführend. Sie könnten zu überstürzten Entscheidungen führen - mit noch mehr Todesopfern. Ein Rückzug unter Beschuss ist in jedem Fall gefährlich und besonders ein Rückzug Hals über Kopf. Daher ist Newt Gingrichs plötzliche Schlussfolgerung, der Krieg sei "nicht machbar", besonders verhängnisvoll. Was glaubt er denn, was machbar ist? Wenn er erwartet hat, die Taliban zu einer Missouri-Stil-Kapitulation zwingen zu können, lebt er im falschen Jahrhundert.

US-Präsident Barack Obama ist mit den Nato-Verbündeten übereingekommen, bis Mitte nächsten Jahres die führende Rolle den Afghanen zu übertragen und die meisten ausländischen Truppen bis Ende 2014 abzuziehen. Dieser Plan wurde von den USA und den wichtigsten Partnern entworfen. Die USA sollten ihn nicht fallen lassen, weil sie durch die jüngsten Ereignisse verärgert, bedrückt oder beschämt sind.

Die Strategie der USA war, das Afghanistan, das sie 2014 verlassen werden, zu formen. Mit ziemlicher Sicherheit wird das Land dann im Chaos stecken. Wie man jedoch im Irak sieht, gibt es einen Unterschied zwischen dem völlig aus der Kontrolle geratenen mörderischen Chaos von 2006 und dem etwas kontrollierteren Chaos von 2011, als die letzten US-Truppen abzogen. Der Bürgerkrieg, den so viele befürchtet hatten, ist bisher ausgeblieben.

Marc Grossman, Obamas Sondergesandter für die Region, führt seit mehr als einem Jahr Geheimgespräche mit den Taliban. Bis Sonntag schien dieser Prozess in die richtige Richtung zu gehen. Nun wird dieser Weg zweifellos schwieriger, was den Taliban-Hardlinern neue Argumente gegen Verhandlungen gibt.

Grossman spricht auch mit angrenzenden Staaten darüber, eine Struktur aufzubauen, die das künftige Afghanistan vor dem Zerfall bewahrt. Die diplomatischen Möglichkeiten sind ungewiss, so wie die US-Militäroperationen auf dem Boden. Aber sie sind Teil einer Rückzugsstrategie, die gut durchdacht erscheint, auch nach der Katastrophe vom vorigen Sonntag.

Übersetzung: Redaktion

Englischsprachige Originalfassung: "Focus on a proper ending"