Zum Hauptinhalt springen

Der verarmte Staat und andere Irrtümer

Von Christian Ortner

Gastkommentare
Christian Ortner.

Die These, dass die Republik einfach mehr Einnahmen brauche, ist so weit verbreitet wie falsch.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Sie fackelten Autos ab, attackierten Polizisten mit ätzenden Substanzen und schlugen auf völlig unbeteiligte Passanten ein: Ein paar hundert gewalttätige politische Extremisten demonstrierten auf diese Weise in Frankfurt gegen die Europäische Zentralbank (EZB) und die vermeintliche Sparpolitik in der EU, die angeblich für die Not in Griechenland und den anderen Krisenstaaten verantwortlich sein sollen.

Indem sie ausgerechnet gegen die EZB demonstrierten, bewiesen die Randalierer und die tausenden Blockupy-Aktivisten vor allem eines: dass sie nicht die allergeringste Ahnung haben. Denn gerade die Fiskalpolitik der EZB erleichtert es den Krisenstaaten der EU-Peripherie ganz massiv, finanziell halbwegs über Wasser zu bleiben und Pensionen, Lehrer und Ärzte zu bezahlen. Der Blockupy-Protest ist daher etwa so berechtigt wie ein Vorwurf an die anrückende Feuerwehr, für den Brand verantwortlich zu sein. Selbst SPD-Chef Sigmar Gabriel bescheinigte den Blockupy-Aktivisten "ein ganz erhebliches Unverständnis" für die tatsächlichen Zusammenhänge.

Die werden freilich, wenn es um die Frage der Sparpolitik geht, auch in der hiesigen Öffentlichkeit gerne eher eigenwillig interpretiert. So beklagte "Falter"-Chef Armin Thurnher jüngst: "Die Volkswirtschaften haben (...) Schulden angehäuft, weil sie (die Staaten, Anm.) zu wenig eingenommen haben." Dies, weil seit der Wende 1989 "auf Grund ihres Reformeifers" die Einnahmen der Staaten "zu sinken" begonnen hätten. Und "Profil"-Kolumnist Peter M. Lingens beklagt nahezu Woche für Woche jenen "Sparpakt, den Merkel & Schäuble über alle EU-Staaten gleichermaßen verhängten", also auch über Österreich. Das glaubt mittlerweile gefühlt zumindest jeder zweite Österreicher - doch mit den Fakten ist es nur sehr bedingt kompatibel.

Gerade in Österreich erfordert die Behauptung, der Staat habe "zu wenig eingenommen", ein relativ hohes Maß an Wirklichkeitsverweigerung. Denn immerhin nimmt der Staat heuer so viel an Steuern und Abgaben ein wie noch nie, nicht eben ein Indiz für einen an finanzieller Unterernährung und Auszehrung leidenden Staat. Und der angeblich von Angela Merkel verhängte "Sparpakt" (Lingens) wird wohl die Ursache dafür sein, dass Österreich laut dem - völlig richtigen - Befund des Finanzministers "ein Ausgaben- und kein Einnahmenproblem hat". Wie das halt im Leben ist, wenn man zu eisernem Sparen gezwungen wird, oder?

Die Staatsausgaben habe sich seit der Wende 1989 in absoluten Zahlen vervielfacht - in Österreich ist seither auch der Anteil der staatlichen Ausgaben (die sogenannte Staatsausgabenquote) signifikant angestiegen: von 48,6 Prozent auf derzeit beachtliche 54 Prozent; in Deutschland ist er im selben Zeitraum mit etwa 45 Prozent mehr oder weniger konstant geblieben. Darin ein Sinken der Staatsausgaben zu sehen, erfordert einen gewissen intellektuellen Mut.

Dass die gegen EZB und Sparpolitik randalierenden Blockupy-Rowdys diese Fakten zu ignorieren pflegen, überrascht wenig. Dass aber auch der seriösere österreichische Diskurs sie ganz nonchalant zur Seite schiebt, wenn es gerade opportun erscheint, deutet leider auf ein Sparpaket hin, und zwar in Sachen intellektueller Redlichkeit.