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Muss ein Fluggast Gegenstände, deren Mitnahme an Bord verboten ist, kennen, obwohl deren Liste von der Europäischen Union absichtlich nicht veröffentlicht wurde? | Am 25. September 2005 bestieg Gottfried Heinrich am Flughafen Wien-Schwechat ein Flugzeug, obwohl ihm nach dem Einchecken für diesen Flug seitens der Sicherheitskontrolle mitgeteilt worden war, dass er seinen Tennisschläger nicht als Handgepäck mitnehmen dürfe. Der Tennisschläger stelle nämlich einen "verbotenen Gegenstand" dar. Heinrich ging trotzdem an Bord, worauf ihn das Sicherheitspersonal aufforderte, das Flugzeug wieder zu verlassen.
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Gegen diese Behandlung erhob Heinrich Beschwerde beim Unabhängigen Verwaltungssenat (UVS) im Land Niederösterreich. Darin führte er aus, dass die Gemeinschafts-Verordnung (EG) Nr. 2320/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung gemeinsamer Vorschriften für die Sicherheit in der Zivilluftfahrt (Amtsblatt 2002, L 355/1) in ihrem Anhang zwar den Begriff "verbotener Gegenstand" generell definiere, es aber der Durchführungs-Verordnung (EG) Nr. 622/2003 der Kommission (Amtsblatt 2003, L 89/9) überlasse, diesen näher zu spezifizieren.
Der Anhang dieser Verordnung enthielt nun solche Spezifizierungen, wurde aber ausdrücklich als geheim bezeichnet und dementsprechend auch nicht im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Lediglich eine kurze Presseinformation der Kommission vom Jänner 2004 (IP/04/59) enthielt einschlägige Informationen. Der von der Kommission dafür angegebene Grund war der, dass man damit Terroristen keine nützlichen Hinweise geben wollte.
Absolute Nichtigkeit
Der UVS war nun der Ansicht, dass eine Nichtveröffentlichung von Verordnungen oder Teilen davon im Amtsblatt entgegen der ausdrücklichen Anordnung dazu in Artikel 254 EG-Vertrag eine derart schwerwiegende Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze darstelle, dass eine solche Verordnung, die auch Einzelne binde, nicht gelten könne. Sie sei daher rechtlich inexistent. Dementsprechend unterbrach der UVS sein Verfahren und legte dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) unter anderem auch diese Frage zur Vorabentscheidung vor.
In ihren Schlussanträgen vom 10. April 2008 in der Rechtssache C-345/06 übernahm die Generalanwältin am EuGH, Eleanor Sharpston, die Argumentation des UVS und führte aus, dass Verordnungen, die nicht im Amtsblatt veröffentlicht wurden, nicht nur für ungültig und damit für relativ nichtig, sondern auch für inexistent und damit für absolut nichtig zu erklären seien. Im gegenständlichen Fall war die Nichtveröffentlichung nämlich weder zufällig noch unbeabsichtigt. Es handelte sich um eine systematisch und absichtlich verfolgte Praxis der Geheimhaltung der Liste "verbotener Gegenstände". Der damit begangene Fehler einer fortgesetzten und absichtlichen Missachtung einer zwingenden Veröffentlichungsvorschrift - hier einer Verordnung - sei dermaßen gravierend, dass er das Vorliegen eines Nichtaktes bewirke.
Dokumentenzugang
Der UVS legte dem EuGH eine weitere Vorabentscheidungsfrage vor. Er wollte wissen, ob die Herausgabe von (geheimen) Teilen von Rechtsakten, die zwingend im Amtsblatt der EU zu veröffentlichen sind, nach der Dokumentenzugangs-Verordnung unter dem Hinweis auf deren "sensiblen Charakter" verweigert werden kann. Die Generalanwältin antwortete darauf mit dem Hinweis, dass die Dokumentenzugangsregelung logischerweise nur für solche Dokumente gelten kann, für die nicht schon von vorneherein eine Veröffentlichungspflicht im Amtsblatt der EU besteht.
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