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Der Verkauf von Kompromissen

Von Matthias Nagl

Politik
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Ein Berg als "koalitionsfreier Raum": Das umstrittene Seilbahnprojekt bei den Kalkkögeln bleibt aus dem Koalitionsübereinkommen zwischen ÖVP und Grünen ausgeklammert.
© Waldhäusl/Imagebroker/Hoelzl

ÖVP und Grüne weichen in ihrem Programm den großen Konflikten aus.


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Innsbruck. Das Koalitionsabkommen der nächsten Tiroler Landesregierung von ÖVP und Grünen steht und kann beurteilt werden. Das ist die Zeit der Kritiker sowie der Verkäufer des politischen Erfolgs. Denn wie überall ist auch das Tiroler Koalitionsabkommen ein Kompromisspapier. Keine Partei hat sich in allen Punkten durchgesetzt, jede kann einzelne Punkte als die eigenen und somit als Erfolg verkaufen.

Von grüner Seite hat das Papier die innerparteiliche Feuertaufe vor der Unterzeichnung überstanden. In der Landesversammlung der Partei bekam das Papier von der Basis mit 89 Prozent breite Zustimmung. Die grüne Landessprecherin und stellvertretende Landeshauptfrau in spe, Ingrid Felipe, sieht im Regierungsübereinkommen "die grüne Handschrift" verankert.

Auf Kritik an ihrem Kurs mussten die Grünen trotzdem nicht lange warten. Am Mittwoch attackierte der bekannte Tiroler Blogger Markus Wilhelm, der auf seiner Website dietiwag.org gegen den Energieversorger Tiwag anschreibt und zahlreiche Verbindungen zwischen dem Konzern und der Tiroler Politik, besonders der ÖVP, aufdeckte, die Grünen und das Regierungsprogramm.

Wilhelm listete vier Punkte auf, die aus dem ÖVP-Wahlprogramm Tirol-Plan teilweise wortident ins Regierungsprogramm übernommen wurden. Dabei handelte es sich allerdings nicht um grüne Kernthemen, und vereinzelt findet man auch dort das, was Felipe wohl unter "grüner Handschrift" versteht. So heißt es etwa im Kapitel "Familie" des Regierungsprogramms: "Es darf auch keine Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare geben." Eine Formulierung, die einigen in der ÖVP wohl nicht ganz einfach über die Lippen kommt.

Für Aufhorchen außerhalb Tirols sorgte auch der Punkt "Bildung". Hier will die neue Tiroler Landesregierung im Herbst 2014 einen Schulversuch zur gemeinsamen Schule der 10- bis 14-Jährigen in der Modellregion Zillertal starten. Dieses Vorhaben deckt sich nicht mit der Bildungspolitik der Bundespartei, erklärt sich aber nicht mit dem Regierungseintritt der Grünen. Denn auch im Tirol-Plan der ÖVP für die Wahl stand dieses Vorhaben schon.

Modellregion zur Neuen Mittelschule nicht innovativ

Landeshauptmann Günther Platter verkündete diese Idee im vergangenen September. Er wolle einen "eigenen Tiroler Weg" gehen, sagte er damals und kritisierte die Linie der Bundespartei. Bei näherer Betrachtung ist die nun geplante Modellregion aber nicht wahnsinnig innovativ. Im für den Pilotversuch vorgesehenen Zillertal gibt es nämlich kein Gymnasium - und damit in der Region ohnehin nur einen einzigen Schultyp für 10- bis 14-Jährige.

An einer Schule in der Region soll laut ÖVP-Bildungslandesrätin Beate Palfrader aber eine Oberstufengymnasiumsklasse angeschlossen werden. Die Grünen begrüßten als Oppositionspartei übrigens den Vorstoß Platters, bezeichneten ihn aber als zu wenig weitreichend. Ein im Regierungsprogramm ebenfalls vorgesehener Modellversuch in Innsbruck hat noch einige Hürden zu nehmen.

Im Punkt Agrargemeinschaften, der vor den Wahlen für heftige Diskussionen sorgte, hat sich die ÖVP durchgesetzt. Im Regierungsprogramm ist die Rede von einer "Änderung des Tiroler Flurverfassungslandesgesetzes" nach "Abwarten der höchstgerichtlichen Erkenntnisse". Dazu hat sich Platter im Interview mit der "Wiener Zeitung" auch schon vor der Wahl bekannt, auch wenn davon im Tirol-Plan keine Rede war. Die Grünen wollten dagegen ein neues Rückübertragungsgesetz beschließen, das das Gemeindegut von den betroffenen bäuerlichen Gemeinschaften an die Gemeinden zurückgegeben hätte.

Agrargemeinschaften: Grüne rudern zurück

Dafür gab es kurz vor der Wahl auch eine Mehrheit gegen die ÖVP, diese verhinderte eine Abstimmung aber unter Ausnutzung der Geschäftsordnung. Nun argumentieren die Grünen, eine Novellierung des Flurverfassungsgesetzes sei gleichbedeutend mit einem Rückübertragungsgesetz. So sollen bei einer Novelle die nicht-agrarischen Güter der Gemeindegutsagrargemeinschaften von den agrarischen Gütern getrennt werden und von den Gemeinden verwaltet werden.

Bei grünen Kernthemen wie Energie und Tourismus kam es zu klassischen Kompromisslösungen. So wurde bei laufenden umstrittenen Kraftwerksprojekten festgehalten, dass es keine Kollegialbeschlüsse der Landesregierung braucht, die Grünen sich also in der Regierung überstimmen lassen werden. Einem umstrittenen Seilbahnprojekt bei den Kalkkögeln im Stubaital wurde "als einzigem Punkt ein koalitionsfreier Raum" gestattet. Auch hier können die Grünen ihr Gesicht wahren. Ebenfalls nach Kompromiss riecht die Lösung bei der zentralen Transitfrage, dem vom Europäischen Gerichtshof aufgehobenen sektoralen Lkw-Fahrverbot. Die Grünen haben dafür eine 100-Stundenkilometer-Beschränkung auf der Inntalautobahn gefordert. Dazu wird es Vorerhebungen geben, "sofern die Anerkennung des sektoralen Fahrverbotes mit dieser Maßnahme von der Europäischen Kommission in Aussicht gestellt wird".

Durchgesetzt haben sich die Grünen mit ihrer Forderung nach einem 365-Euro-Jahresticket für alle. Das klingt so stark nach der rot-grünen Wiener Stadtregierung, dass manche in der Tiroler ÖVP wohl Kopfschmerzen davon bekommen. All jene können aber beruhigt werden. Im schwarz-grünen Regierungsprogramm steht der Zusatz "nach Maßgabe der finanziellen Möglichkeiten". Es liegt also an Felipe als neuer Verkehrslandesrätin, das kostendeckend umzusetzen.