ÖVP 2002 bis 2011: Exodus der Selbständigen, wirtschaftlich Aktiven. | Partei muss eigenes Selbstbild revidieren. | Wien. Jetzt also konzentrieren sich alle Hoffnungen auf Michael Spindelegger, die ÖVP aus ihrem gegenwärtigen Jammertal zu führen - eine aktuelle Umfrage sieht die Partei, für die der Kanzleranspruch zum grundsätzlichen Selbstverständnis gehört, bei nur noch 22 Prozent. | Immer mehr Anzeichen für Fekter als Finanzministerin, Abgang von Bandion-Ortner fix
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Dass dieser Führungsanspruch aus einer anderen, längst vergangenen Zeit stammt und den heutigen politischen Rahmenbedingungen gar nicht mehr angemessen ist, wagt in der Volkspartei niemand laut zu denken, geschweige denn öffentlich zu sagen.
Verantwortlich dafür zeichnet ein singuläres Ereignis, das bis heute die gefühlte politische Realität von Anhängern wie Funktionären der ÖVP verzerrt: Es sind dies jene magisch-unrealistischen 42,3 Prozent, die Wolfgang Schüssel einst im November 2002 für die ÖVP erobern konnte. Seitdem muss sich jeder ÖVP-Obmann daran messen lassen, wie nah er diesem gefühlten möglichen Maximalwert für die Partei bei Wahlen kommen kann.
Scheitern ist da vorprogrammiert, befinden realistischere Geister. 2002 sei einer absoluten Ausnahmesituation geschuldet - der Selbstzerstörung der Freiheitlichen. Seitdem haben sich das Parteienspektrum und das Wahlverhalten der Bürger weiter ausdifferenziert - Stichwort BZÖ, das heimatlose Bürgerliche als eigentliche Kernzielgruppe auserkoren hat; eine Wiederholung des Ergebnisses von 2002 ist praktisch ausgeschlossen.
Maximum bei 30 Prozent
Viel spricht deshalb dafür, dass das realistische Stimmenmaximum der Volkspartei derzeit eher bei um, eher sogar unter 30 Prozent liegt. Darauf weisen auch die ÖVP-Ergebnisse bei Nationalratswahlen seit 1994 hin, die - bis auf 2002 und 2006 (34,3) - allesamt, zum Teil sogar deutlich unter 30 Prozent lagen. Und 2008 eben bei nur noch 26 Prozent.
Zwischen 2002 und 2008 liegt also ein Verlust von mehr als 17 Prozentpunkten bei der Wählerzustimmung. Wertet man die beiden Wahltagsanalysen von GfK Austria aus, so zeigen sich die strukturellen Schwächen der ÖVP deutlich: Überproportional sind die Verluste nämlich bei Männern, den 30- bis 44-Jährigen sowie den Über-70-Jährigen, bei den Facharbeitern und vor allem bei Selbständigen und Unternehmern. Letztere wählten 2002 noch zu fast 60 Prozent ÖVP, 2008 sank dieser Anteil auf nur mehr knapp über 20 Prozent.
In anderen, eindeutigeren Worten: Der ÖVP geht ihre Mitte, vor allem der wirtschaftlich aktive Teil ihrer Wähler verloren. Für eine Partei mit dem Anspruch auf Wirtschaftskompetenz eine fatale Bestandsaufnahme. Das belegt auch ein Blick auf die Motive der ÖVP-Wähler: 2002 erklärten 43 Prozent, eine solide Wirtschafts- und Budgetpolitik für ausschlaggebend für ihr Stimmverhalten; 2008 waren es nur mehr rund 16 Prozent. Man kann diese nach unten weisende Entwicklung getrost bis zur aktuellen Situation fortzeichnen: Der Trend ist der gleiche, das Niveau noch tiefer.
Neues Bewusstsein gefragt
Eine der ersten - und wohl wichtigsten - Aufgaben der neuen Parteiführung um Spindelegger sollte es daher sein, das Jahr 2002 aus dem Tiefenbewusstsein der Funktionäre zu tilgen. Wer sich die Latte unrealistisch hoch legt, kann nur enttäuschen. Ironischerweise wurde dies ausgerechnet auch Wolfgang Schüssel zum Verhängnis: Die 34,3 Prozent, die die ÖVP mit ihm im Oktober 2006 erreichte, waren zwar ein herber Verlust gemessen an 2002, tatsächlich jedoch weit überdurchschnittlich, legt man die Möglichkeiten der ÖVP unter den gegenwärtigen Bedingungen zugrunde.