Strenge Kapitalregeln für die Banken in entscheidender Phase.
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Brüssel. Wer den Rekord hält, ist strittig. Mit 2195 Änderungsanträgen hat zwar Othmar Karas die Nase vorn. Aber, wendet sein EVP-Fraktionskollege Jean-Paul Gauzès ein: Karas hat als Parlamentsberichterstatter zwei Gesetzestexte zu behandeln. Die EU-Umsetzung der strengeren Bankenkapitalvorschriften (global bekannt als "Basel III") besteht nämlich aus Richtlinie und Verordnung. Er hingegen habe es mit nur einem Text - der Hedgefonds-Regulierung - auf 1669 Änderungswünsche gebracht. Darüber, wer "der wahre Champion" ist, gebe es noch Gesprächsbedarf, scherzt der französische Abgeordnete.
Unstrittig ist: Beide Texte sind zentrale Säulen der EU-Finanzmarktregulierung. Künftig müssen Banken für riskante Geschäfte mehr und höherwertiges Eigenkapital zurücklegen - wodurch das Finanzsystem stabiler werden soll. Für die EU-Umsetzung von "Basel III", bei der Karas parlamentarischer Verhandlungsführer ist, kommen jetzt entscheidende Wochen. Doch der Zeitplan wackelt: Am 2. Mai sollte ein Sonderrat der EU-Finanzminister die Position der Mitgliedstaaten klären. Ob es dazu kommt, ist aber fraglich - der Ausgang der Stichwahl in Frankreich ist dann noch offen. Und ohne Franzosen wird es wohl keine Einigung geben.
Obendrein gibt es große Meinungsunterschiede etwa zwischen Deutschland und Großbritannien, wie einheitlich oder flexibel die Regeln sein sollen. Karas bleibt optimistisch, dass der Rat der Minister eine Mehrheit findet: Immerhin sei keine Einstimmigkeit erforderlich.
"Wir jedenfalls tun alles, um den Starttermin am 1. Jänner 2013 zu halten", betont Karas, Vizepräsident des EU-Parlaments. Allerdings musste auch das Parlament die Abstimmung im Ausschuss verschieben. Der neue Termin ist 8. Mai. "Ab dann sind wir im Parlament verhandlungsfähig", sagt Karas. Im Idealfall könnten Mitte Mai die Verhandlungen mit dem Rat starten; die erste Lesung im Parlamentsplenum wäre dann im Juli. Kommt es zu keiner Einigung mit dem Rat, würde eine zweite Lesung im September erforderlich. Die Banken klagen, es sei schon jetzt fast unmöglich, in der verbleibenden Zeit die hochkomplexen Anforderungen umzusetzen.
KMU befürchten Verteuerung von Krediten
Doch auch im Parlament sind nicht alle Fronten geklärt. Derzeit werden Kompromisse unter den "Schattenberichterstattern" der Fraktionen ausgelotet. Belgien und Österreich stehen vor ähnlichen Herausforderungen, erklärt Philippe Lamberts (Grüne): Beide Länder haben viele Klein- und Mittelunternehmen (KMU), denen eine Verknappung und Verteuerung von Krediten droht. Karas sieht gute Chancen, dass der Kapitalbedarf für KMU um ein Drittel reduziert wird - und somit etwa auf dem Level der Basel II-Regeln bleibt. Außerdem könnte das Ausleihungsvolumen für Retail- und Privatkredite, die günstiger behandelt werden, von ein auf zwei Millionen Euro erhöht werden.
Aus Sicht der Linken werden mit den Finanzmarktregeln "ein paar Schritte vorwärts gemacht", sagt der deutsche Abgeordnete Jürgen Klute. "Die Stellschrauben sind die richtigen, aber wir wollen immer ein paar Umdrehungen mehr." Er hat Sorgen, dass Genossenschaftsbanken von "Basel III" stärker betroffen sind als Großbanken. In Deutschland kommt dazu, dass Sparkassen viele Kommunalkredite vergeben haben, die ein geringes Risiko darstellen, aber durch die Gesamtkreditschwelle ("Leverage ratio") limitiert würden.
Das Krisenmanagement - die Frage, wie mit Banken verfahren wird, denen die Pleite droht - soll nach Ansicht von Karas nicht als Teil von "Basel III" behandelt werden. Allerdings könnte am 8. Mai der Auftrag an EU-Kommissar Michel Barnier formuliert werden, den Vorschlag noch im Mai vorzulegen: Was soll passieren, wenn eine Bank kein Geld mehr hat? Wie kann eine geordnete Abwicklung aussehen? Die Kommission habe schon lange einen Vorschlag in der Lade, heißt es in Brüssel. Allerdings fürchtet man ein fatales Signal an die Märkte, wenn man sich intensiv mit Bankenpleiten beschäftigt. Aus ähnlichen Gründen dürfte "Basel III" vorerst verzichten, Staatsanleihen strenger zu bewerten. Bisher müssen Banken für einen Großteil der Staatsschulden in ihren Büchern kein Eigenkapital unterlegen. Verschärft man jetzt die Regeln, würde das die Schuldenkrise anheizen - viele Staatspapiere finden derzeit ohnehin keine Käufer. Die salomonische Lösung: Das Parlament will die Kommission auffordern, bis 2014 Vorschläge zur Neubewertung von Staatsanleihen vorzubereiten.
Regulierungsvorschläge für "Schattenbanken"
In der Frage der Einlagensicherung gibt es einen fertigen Parlamentsbeschluss, aber keine Einigung mit dem Rat, sagt Karas:
Das Parlament fordert, dass Banken 1,5 Prozent der Spareinlagen zurückstellen müssen.
Die Mitgliedstaaten wollen teils geringere Prozentsätze, teils gar keine Einlagensicherung.
"Idealerweise sollte eine Bank wie jedes andere Unternehmen behandelt werden", sagt Frédéric Hache von der Nichtregierungsorganisation Finance-Watch. Eine Bank soll auch pleitegehen können - allerdings müsste man dann Domino-Effekte verhindern. Kommt der Steuerzahler künftig nicht mehr zum Handkuss, wenn eine Bank umfällt? Das sollte durch "Basel III" seltener werden, ausgeschlossen ist es aber nicht.
"Es bleibt weiter wahrscheinlich, dass Regierungen im Krisenfall Banken retten", sagt Hache. Der Franzose fürchtet, dass spekulative Geschäfte in unregulierte "Schattenbanken" abwandern könnten. Auch für diese gibt es in Brüssel Regulierungsvorschläge. Sie stehen aber noch ganz am Anfang.