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Der versteckte Partei-Code

Von Walter Hämmerle

Politik

Wahlhelfer der "Wiener Zeitung" zur EU-Wahl ist online und gibt überraschende Einblicke, wie Parteien wirklich ticken.


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Wien. Schublade auf, Partei mitsamt Politikern hinein, Schublade zu, Etikett drauf und fertig. EU-kritisch, pro-europäisch, linksliberal, neoliberal, verzopft, bürgerlich, rechtsaußen - in diesen Kategorien haben sich Österreichs Parteien und die allermeisten Medien, die über sie berichten, gemütlich eingerichtet. Das ist für alle Beteiligten natürlich bequem, schließlich kennt man sich in diesen Kreisen aus, weiß solche Codes zu entziffern, nur die Wähler haben nichts davon. Die interessieren sich nämlich - und entgegen einem weitverbreiteten Stereotyp - sehr wohl für Politik; nur muss diese dann konkret und alltagsbezogen sein, und nicht abstrakt und abgehoben.

Deshalb ist seit Freitag der Wahlhelfer der "Wiener Zeitung" zur EU-Wahl am 25. Mai online (im Internet unter wahlhelfer.wienerzeitung.at). Anhand 30 konkreter Statements können Interessierte ganz einfach feststellen, mit welcher Partei die eigenen Ansichten am stärksten übereinstimmen. Als Antwortkategorien fungieren "ja", "eher ja", "weiß nicht", "eher nein" und "nein"; zusätzlich hatten die Parteien die Möglichkeit, das Statement strategisch zu bewerten, indem sie es als "nicht relevant", "kaum relevant", "wichtig" beziehungsweise "sehr wichtig" politisch beurteilten. Berücksichtigt wurden beim Online-Wahlhelfer mit ÖVP, SPÖ, FPÖ, Grüne, Neos, Rekos, Europa anders sowie das BZÖ jene kandidierenden Parteien, die entweder im Nationalrat oder im EU-Parlament vertreten sind.

Überraschende Positionen und Koalitionen

Sieht man sich die einzelnen Antworten genauer an, ergeben sich teils erhebliche Überraschungen und Koalitionen. Wer hätte etwa vermutet, dass die Kanzler-Partei SPÖ einen EU-Beitritt der islamischen Türkei eher ablehnt als die christdemokratische ÖVP. Bei der Aussage "Die EU baut auf der Geschichte und den Traditionen des christlich-jüdischen Abendlandes auf, ein mehrheitlich islamisches Land wie die Türkei passt nicht in diese Gemeinschaft" befinden sich die Sozialdemokraten mit ihrem "eher ja" in einem Boot mit den Rechtspopulisten und Rechtskonservativen von FPÖ, BZÖ und Rekos; gemeinsam mit Grünen, Neos und Europa anders vertritt die ÖVP hier die liberale Gegenposition.

Bemerkenswert auch die Konstellation, wenn es um das höchst umstrittene Freihandelsabkommen mit den USA geht: Hier sind die beiden Regierungsparteien gemeinsam mit den Neos der Überzeugung, dass TTIP "ein geeignetes Mittel ist, um mehr Wachstum und Wohlstand auf beiden Seiten des Atlantiks zu schaffen". Das ist besonders für die Sozialdemokraten bemerkenswert, bedenkt man die durchaus entschlossene Kampagne der Arbeiterkammer gegen das von dieser Seite als neoliberal gebrandmarkte Projekt. Hier sind es die Grünen, die mit FPÖ, Rekos, BZÖ und den Linksaußen von Europa in ungewohnten Beziehungsbanden stecken. Dafür stimmen für einmal die traditionellen Links-rechts-Schablonen bei der Frage, ob Asylwerber nach Maßgabe der Einwohnerzahl auf alle EU-Mitgliedstaaten aufgeteilt werden sollen: Die ÖVP lehnt dies mit FPÖ und den Rekos ab, SPÖ, Grüne, Neos, Europa anders und seltsamerweise auch das BZÖ sprechen sich dafür aus.

Die Liebe zu Europa endet bei fast allen Parteien, wenn die Erdgas-Fördertechnologie Fracking mit ins Spiel kommt. Die vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise besonders aktuelle Aussage "Die EU soll alle notwendigen Anstrengungen unternehmen, um energiepolitisch von Russland unabhängig zu werden - auch wenn dies den Einsatz von Fracking zur Förderung von Schiefergas miteinschließt" wurde - mit Ausnahme des BZÖ - von allen Parteien abgelehnt (die SPÖ verweigerte eine klare Stellungnahme). Geschlossenheit demonstrieren die Parteien auch bei der Frage der EU-Mitgliedschaft Großbritanniens (bis zum Jahr 2017 sollen die Briten darüber abzustimmen): Lediglich Europa anders, das hauptsächlich aus der KPÖ und der Piratenpartei besteht, würde die Briten lieber draußen als drinnen sehen.

Was nun die künftige Erweiterungspolitik der Union angeht, besteht unter den pro-europäischen Parteien - wenig überraschend - Konsens, dass die Länder des Westbalkans, also Serbien, Montenegro, Mazedonien, Kosovo und Albanien "besser früher als später Mitglied der EU" sein sollen. Dagegen sprechen sich FPÖ, Rekos und BZÖ aus; die ausgeprägte Freundschaft von Parteichef Heinz-Christian Strache zum orthodoxen Serbien hat bei der FPÖ noch keine Spuren hinterlassen; einem Beitritt der Ukraine aus Anlass der aktuellen Krise reden nur Grüne und Neos das Wort.

Tiefe Gräben tun sich auf, wenn es um die sogenannte Finalität der Europäischen Union geht. Die Aussage "Zukunftsvision sollen die Vereinigten Staaten von Europa sein" wird von ganz links bis ganz rechts abgelehnt, lediglich Grüne und Neos befürworten ein weitgehendes Aufgehen der europäischen Nationalstaaten in den "USE", den United States of Europe.

Kein gesteigertes Anliegen ist den österreichischen Parteien dagegen offensichtlich ein eigener EU-Kommissar für jedes Land. Einzig und allein die ÖVP spricht sich für die bestehende Regelung aus; alle anderen - auch die eher nationalistischen wie FPÖ, Rekos und BZÖ - könnten ohne Kommissar auch gut leben. Andererseits auch kein Wunder: Schließlich war bisher der Job des EU-Kommissars eine personalpolitische Verschubmasse für die Volkspartei.

Kein roter Faden bei nationalen Kompetenzen

Mitunter zeigt sich bei den Antworten, dass das Label "pro-europäisch" stark davon abhängt, um welches Thema es gerade geht. Die Grünen etwa positionieren sich allgemein als ausgesprochen pro-europäisch; wenn es allerdings um die Frage einer gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik geht, an der "auch Österreich ohne Einschränkungen" mitwirken soll, bricht bei der Ökopartei plötzlich EU-Skepsis durch; das wäre für sich genommen nicht weiter bemerkenswert, schließlich lehnen eine europäische Armee mit heimischer Beteiligung auch SPÖ und ÖVP ab (Neos und - eigenartigerweise auch - FPÖ sind tendenziell dafür).

Auffällig ist dieses Nein nur deshalb, weil die Grünen ansonsten in fast allen anderen emotional besetzten Politikbereichen eindeutig der europäischen vor der nationalen Lösung den Vorzug geben, egal, ob es um gemeinsame Anleihen der Eurozone zwecks Schuldenfinanzierung (dagegen: ÖVP, SPÖ, FPÖ, Rekos, BZÖ), ein EU-weit einheitliches Pensionsantrittsalter (alle dagegen bis auf Europa anders) oder die Vereinheitlichung von Steuersätzen als Mittel gegen einen nationalen Steuerwettbewerb geht (anderer Ansicht sind ÖVP, FPÖ, Rekos, BZÖ und Europa anders).

Aber auch die anderen Parteien sind vor Widersprüchen in ihrer Haltung zur EU nicht gefeit. Für einen Schuldenschnitt beim Krisenstaat Griechenlands etwa sprechen sich nicht nur die pro-europäischen Grünen und Neos aus, sondern auch FPÖ und BZÖ, obwohl insbesondere die Freiheitlichen oft und gerne gegen die Unterstützungsmaßnahmen für Hellas polemisieren.