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Ex-Bifie Chef Günter Haider konzipiert neuen Wiener Lesetest, der nur noch Volksschülern der vierten Klasse vorgelegt werden soll.
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Wien. Entzückend ist es für Eltern, wenn ihre Sprösslinge die ersten Buchstaben lernen, sie langsam nacheinander reihen und sich zum vollständigen Wort nach vorne hanteln. Stolz präsentiert man den alphabetisierten Nachwuchs Freunden und Verwandten. Weniger entzückend ist es hingegen, wenn der Nachwuchs sich noch mit zehn Jahren mühsam von Buchstabe zu Buchstabe schwingt. Jeder fünfte zehnjährige Wiener hat Schwierigkeiten beim Lesen und gilt als "Risikoschüler". Das zeigte das Ergebnis des Lesetests aus dem Jahr 2013. Aktuellere Zahlen liegen keine vor.
Wie der Status quo aussieht, soll der Wiener Lesetest im April 2015 herausfinden. Zum fünften Mal findet er nun statt. Und ist vollkommen neu organisiert, wie Stadtschulratspräsidentin Susanne Brandsteidl (SPÖ) bei der Präsentation am Montagvormittag erklärte. Im Gegensatz zu den Vorjahren werden dieses Jahr nicht länger die Schüler der vierten Klassen AHS/Hauptschule und Neue Mittelschule getestet, sondern lediglich die Volksschüler der vierten Klasse getestet. Der Grund: Defizite im Volksschulalter lassen sich noch beheben, mit 14 Jahren hingegen ist der Zug in Sachen Leseförderung abgefahren, so der Tenor im Wiener Stadtschulrat.
Zu viele Pannen bei Vorentwickler Bifie
So werden nun zwischen 22. und 29. April 15.932 Schüler der vierten Klasse aus insgesamt 268 öffentlichen und privaten Volksschulen auf ihr Leseverständnis getestet. 40 Minuten dauern die Tests. Bereits im Jänner können die jeweiligen Klassen Vortests durchführen, um die Schüler auf das Testformat vorzubereiten und etwaige Förderungen gleich zu dem Zeitpunkt anzufordern. Die Ausführung und die Auswertung der Vor- und Haupttests übernehmen dieses Mal die Lehrer selbst. Der Stadtschulrat erhält lediglich die anonymisierten Schulergebnisse des Haupttests und erstellt daraus ein wienweites Resultat, das bis Ende Mai vorliegen soll.
Anders als in den Vorjahren wurde der Test dieses Mal von Bildungsforscher Günter Haider konzipiert, der in der Anfangsphase 2011 den Test mitgestaltet hatte. Haider war bis 2013 Direktor des Bundesinstituts für Bildungsforschung, Innovation und Entwicklung des Österreichischen Schulwesens (Bifie) - und war unter anderem auch für die Durchführung der Pisa-Tests in Österreich zuständig. 2013 wurde Österreichs "Mr. Pisa", wie Haider genannt wurde, abgesetzt.
Wegen "logistischer Schwierigkeiten und Fehlern bei der Auswertung" beendete der Wiener Stadtschulrat vergangenes Jahr seine Kooperation mit dem Institut. Das Bifie war mit Pannen bei der Generalprobe der Zentralmatura sowie wegen angeblicher Datenschutzprobleme, die fast zur Absage der österreichischen Teilnahme an der Pisa-Studie geführt hätten, ständig in den Schlagzeilen.
Aufgrund der allgemeinen Verunsicherung liegt nun auch keine Auswertung des Wiener Lesetests aus dem vergangenen Jahr vor.
Keine "Mauer des Schweigens" mehr
Gemeinsam mit seinem Team an der Universität Salzburg konzipierte Haider nun den aktuellen Test, der nach dessen Durchführung für jeden einsehbar ist. Vergangenes Jahr war das nicht so. Das bescherte dem Wiener Stadtschulrat den ersten Platz beim "Amtsgeheimnis Award". Mit der "Mauer des Schweigens - ein Preis für besondere Bemühungen um die Verweigerung amtlicher Antworten" - kürte die Jury rund um das Forum für Informationsfreiheit den Wiener Stadtschulrat, der sich weigerte, einem Vater den Lesetest seiner zehnjährigen Tochter zu zeigen.
Mehr als ein halbes Jahr versuchte der Wirtschaftsinformatiker, Einsicht in den geheimen Test zu gewinnen. "Die Lizenzgebühr zur Verwendung der Textbeispiele erlaubt keinesfalls eine Weitergabe an Dritte. Das ist in den Nutzungsbestimmungen des Vertrages so geregelt", hieß es in einer Antwort des Stadtschulrats. In einer anderen riet man ihm, sich doch bei der Schule seiner Tochter zu melden, um mehr Informationen zu dem Test zu bekommen. Der Vater wollte den offiziellen Test des Stadtschulrates, immerhin waren einige Testbeispiele in Boulevardmedien abgedruckt worden. Nach sechs Monaten wurde ihm dann in einem Bescheid mitgeteilt, dass man die "Akteneinsicht" nicht gewähren könnte. Der gesamte Dialog zwischen Vater und Behörde kann auf der Plattform "fragdenstaat.at" nachgelesen werden. Nächstes Jahr soll der Test für alle einsehbar sein. Die Schulen können den Test behalten.
90.000 Euro soll die Entwicklung und Durchführung des aktuellen Lesetests kosten - ebenso viel wie in den Vorjahren. Doch langfristig gesehen soll das neue Konzept der Lehrer-Abwicklung deutlich Kosten einsparen, verspricht Chefentwickler Haider.