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China will Nordkorea weiter als Pufferstaat, doch was will Kim Jong-un?
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Die jüngsten Entwicklungen auf der koreanischen Halbinsel sind einigermaßen bizarr: Da meldet die nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA, dass der starke Mann Nordkoreas, Kim Jong-un, Raketenbatterien in Alarmbereitschaft versetzt und mit möglichen Schlägen gegen die USA und US-Basen in Guam und Südkorea droht.
Und was machen die Menschen in Seoul? Sie zucken mit den Schultern und leben ihr Leben wie gewohnt weiter - Gangnam Style. Ein paar machen sich Sorgen, dass ihr geländegängiger SUV im Krisenfall von der Regierung für einen möglichen Militäreinsatz eingezogen werden könnte, wie die englischsprachige "Korea Times" am Freitag meldete.
Die Südkoreaner sind eben Schlimmeres gewohnt: Im März 2010 sank die südkoreanische Korvette Cheonan, die südkoreanische Marine behauptete, dass Nordkorea für den Untergang der Cheonan, verantwortlich gewesen sei. 46 der 104 Besatzungsmitglieder fanden damals den Tod. Ende November 2010 wurde die südkoreanische Insel Yeonpyeong von der nordkoreanischen Artillerie unter Beschuss genommen, wobei zwei südkoreanische Zivilisten starben.
Zu einer bewaffneten Auseinandersetzung ist es diesmal noch nicht gekommen.
Die Rhetorik aus Pjöngjang hat aber freilich einen neuen Grad an Schrillheit erreicht. Aus südkoreanischen Diplomatenkreisen hieß es gegenüber der "Wiener Zeitung", man könne nicht abschätzen, wie ernst es dem neuen Machthaber Kim Jong-un wirklich sei. Der erst 30-jährige Kim fungiert ja erst seit Ende Dezember 2011 als "Oberster Führer von Volk, Partei und Streitkräften", er muss möglicherweise vor allem gegenüber der Armee demonstrieren, dass er der starke Mann in dem verschlossenen Land ist. In Nordkorea gilt die Son’gun-Doktrin, wonach die Armee vor allen anderen Dingen in Nordkorea Priorität genieße.
Beobachter melden keinerlei Kriegsvorbereitungen in Nordkorea, die Gefahr eines Krieges wird als relativ klein eingeschätzt. Doch solange einerseits die gemeinsamen US-südkoreanischen Militärmanöver "Foal Eagle" laufen, die am 1. März begonnen haben und bis zum 30. April andauern und andererseits die nordkoreanische Seite mit Nuklearschlägen gegen US-Ziele droht, gibt es genügend Anlässe für potenziell hochbrisante Zwischenfälle.
Den USA könnte die Eskalation auf der koreanischen Halbinsel nicht so ungelegen kommen: Seit einiger Zeit ist in Washington von einem "Asia Pivot" die Rede, die Vereinigten Staaten wollen sich immer mehr aus dem Nahen Osten zurückziehen und ihr Engagement in Asien erhöhen. Nicht wenige US-Strategen sehen in China den zukünftigen Herausforderer auf der Weltbühne. Die derzeitige Lage auf der koreanischen Halbinsel bestätigt jene in Washington, die diese Abwendung von der Golfregion und vielleicht in Zukunft auch vom Nordatlantik hin in die Pazifikregion vorantreiben wollen. Immerhin wird das US-Militär bis 2017 rund eine Milliarde Dollar für die Verbesserung ihrer Raketenabwehrsysteme an der Pazifikküste der USA ausgeben.
Pekings Dilemma
China wird über diese Entwicklung nicht glücklich sein und Peking sieht daher in Nordkorea schon seit längerem eher eine Belastung als einen Aktivposten. Das Dilemma für Peking: Die Führung im Regierungsbezirk Zhongnanhai sah in Nordkorea lange Zeit einen Pufferstaat, der das Reich der Mitte von der Einflusssphäre des pro-westlichen Südkorea trennt. Immerhin befinden sich auch 25 US-Basen in Südkorea, ein weiterer Grund für Peking, alles daranzusetzen, dass das Regime in Pjöngjang überlebt.
Doch was, wenn Nordkorea Japan und Südkorea dazu motiviert, mehr in die Aufrüstung der eigenen Armeen zu stecken? Und was, wenn Nordkoreas Führung mit seinen Drohgebärden gegen Südkorea und Japan dafür sorgt, dass beide Länder immer engere Beziehungen zu den USA suchen, da nur die Vereinigten Staaten für die Sicherheit dieser beiden Länder garantieren können? Man kann getrost davon ausgehen, dass dies den Strategen in Peking nicht besonders gefällt. Dennoch kann Peking Pjöngjang nicht fallen lassen: einerseits, da es keinen Plan B für ein Post-Kim-Regime in Pjöngjang gibt, andererseits, weil Peking den Zustrom von Heerscharen hungriger nordkoreanischer Flüchtlinge über die Grenze für den Fall des Regime-Kollaps fürchtet.
Für den Fall des Regime-Kollaps kann man auch nur hoffen, dass es inzwischen bei den Armeen Chinas und der USA Pläne für die Kommunikation zwischen beiden Seiten gibt. Der US-Analyst Robert D. Kaplan hat bereits im Oktober 2006 in einem viel beachteten Artikel im "Atlantic Monthly" davor gewarnt, dass für diesen Fall die Gefahr einer direkten Konfrontation zwischen chinesischen und amerikanischen Truppen drohen könnte.
Somit sollten eigentlich - zumindest derzeit - alle Seiten -, die beiden Koreas, die USA und China sowie Japan - Interesse an einer Beibehaltung des Status quo haben. Wenn es da nur zu keinen Missverständnissen kommt.