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Der Wahl folgen Heulen und Zähneknirchen

Von Clemens M. Hutter

Gastkommentare

Nicht nur Einfältige mögen darüber sinnieren, warum sich angesichts dramatischer Fakten bei den deutschen Wahlen am Sonntag überhaupt noch jemand um ein Amt reißt: Minus-"Wachstum" um die sechs Prozent, Arbeitslosigkeit unterwegs in Richtung vier Millionen, drastischer Einbruch der Steuererträge, Staatsschuld 1600 Milliarden Euro, Zinsendienst dafür heuer 70 Milliarden und an die 100 Milliarden Neuverschuldung 2010. Wollte Deutschland seinen Schuldenberg mit monatlich einer Milliarde Euro abtragen, so wäre die letzte Rate im Jahr 2124 fällig.


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Demoskopen stellen den Koalitionsparteien Union und SPD um die 60 Prozent der Stimmen in Aussicht. Aber jeder Vierte weiß noch nicht, ob und wen er am Sonntag wählen wird. Parteipolitisches Verwirrspiel begünstigte diese Unsicherheit. Zwar reiht die Demoskopie die Union mit etwa 36 Prozent gut zehn Punkte vor der SPD. Entscheidend ist aber, wer von den fünf Bundestagsparteien mit wem "nicht kann".

Kanzlerin Angela Merkel hält die SPD für einen Klotz am Bein und lacht sich die FDP an, die als demoskopisch Stärkster der drei Kleinen (mit Linkspartei und Grünen) endlich mitregieren möchte. Sie "kann" nämlich weder mit der SPD noch mit den Grünen. Union und SPD wahlkämpfen gegeneinander weich, weil sie der Wähler wieder in eine Koalition zwängen könnte.

Die SPD verweigert auf Bundesebene eine Koalition mit der Linkspartei. Diese will aber gar nicht mitregieren, sondern sich mit Opposition profilieren. Die Grünen "können" weder mit der Union noch mit der FDP und beschuldigen die gesamte Konkurrenz, deren Programme mit Plagiaten aus den grünen Kernthesen aufzuputzen.

Wegen dieses Verwirrspiels blieb der Wahlkampf unkonkret bis grotesk. Die Linkspartei plakatierte zugleich "Reichtum für alle" und "Reichtum besteuern", weil sie diese kontradiktorischen Sprüche nicht einlösen muss. Das Wahlprogramm der SPÖ plädiert auf 95 Seiten für Sparen, verliert aber keine Zeile auf das Wie - ausgenommen den Hinweis auf Steuererhöhung für gut Betuchte. Die Union reduzierte ihr 63 Seiten langes Wahlprogramm auf die Formel "Wir haben die Kraft", lockte aber mit Steuerentlastungen zumal die Klein- und Mittelbetriebe, die immerhin fast 90 Prozent aller Investitionen leisten. Union und SPD ersetzten "Wahlversprechen" durch "Ziele". So die Union mit "Arbeit für alle" und die SPD mit vier Millionen Arbeitsplätzen bis 2020.

Einerlei, reicht es nicht für die kleine Koalition, bleibt es bei der großen - sowie den gewaltigen Problemen und dem Zwang zu drastischem Sparen. Das verheißt Heulen und Zähneknirschen, weil eine gigantische Zeche zu bezahlen ist. Deshalb nimmt sich ein in der CDU geflüsterter Mutmacher für Merkel wie pfeifen im finsteren Wald aus: "Mutti machts!"

Clemens M. Hutter war bis 1995 Ressortchef Ausland bei den "Salzburger Nachrichten".