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Der Wahlkampf der Migranten

Von Clara Akinyosoye

Politik
"Jetzt, wo man uns seit 15 Jahren kennt, werden wir uns nicht einfach auflösen", bekräftigt Yasar Ersoy, Vorstandsvorsitzender des "Bündnis Mosaik".
© Luiza Puiu

Bei der AK-Wahl gibt es auch Kandidaten ohne österreichischen Pass.


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Wien. Es ist alle Jahre wieder das gleiche Bild: Sie kommen zu Besuch auf Märkte, in Kulturvereine und schlagen ihre Zelte vor Moscheen auf. Im Gepäck haben sie Flyer, Kugelschreiber und Verheißungen vom besseren Leben. Denn sie sind auf Stimmenfang - Politiker und Interessenvertretungen haben gelernt, das Wählerpotenzial von Migranten nicht brachliegen zu lassen. Sie buhlen um die Gunst der Zugewanderten. Aktueller Anlass dafür ist die Arbeiterkammer-Wahl in Wien, bei der Arbeitnehmer noch bis zum 24. März ihre Vertretung wählen können.

Von insgesamt zwölf Listen sind vier "Migrantenlisten". Das sind Listen, die von Migranten initiiert worden sind und auf denen - bis auf wenige Ausnahmen - ausschließlich Menschen mit Migrationshintergrund kandidieren. Alle beanspruchen für sich, die Arbeitsbedingungen für Menschen mit Migrationshintergrund verbessern und Diskriminierungen am Arbeitsmarkt entgegenwirken zu wollen. Dabei stehen allerdings meist türkische Migranten im Fokus. Von den vier Listen richten sich drei, namentlich das "Bündnis Mosaik", die "Liste Perspektive" und die "Union der Österreich-Türkischen ArbeitnehmerInnen in Wien" speziell an diese Migrantengruppe.

Yasar Ersoy ist seit zwei Monaten Vorstandsvorsitzender des "Bündnis Mosaik", das seit 15 Jahren bei AK-Wahlen vertreten ist und in Wien einen Kammerrat stellt. Warum sich Menschen mit Migrationshintergrund zusammenschließen und neue Strukturen aufbauen, anstatt sich in bereits bestehende einzufügen, dafür liefert er eine einfache Erklärung. "Es hat damals keine Repräsentation von Migranten in den etablierten Listen gegeben, und es kam auch niemand auf uns zu, der uns mit offenen Armen begrüßt hätte", sagt Ersoy. "Jetzt, wo man uns seit 15 Jahren kennt, werden wir uns nicht einfach auflösen." Migranten aus der türkischen und muslimischen Community seien immer noch unterrepräsentiert, auch wenn sich die Situation geringfügig verbessert habe. Tatsächlich hat die stärkste Fraktionen, der Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter (FSG) mittlerweile Kandidaten mit Migrationshintergrund an wählbaren Stellen positioniert.

Anders als beim ÖAAB (Österreichischen Arbeiternehmerverbund), bei dem die Kandidaten für eine realistische Chance zu weit hinten platziert sind. Ersoy sieht darin eine Doppelmoral: Man werbe um die Stimmen von Migranten, sei aber nicht bereit, Rücksicht auf die Interessen von türkischen Arbeitern und Angestellten zu nehmen. Doch wer für diese Gruppe tatsächlich die beste Interessenvertretung ist, darüber herrscht auch unter türkischen Migranten keine Einigkeit.

Einsatz für daspassive Wahlrecht

Ersoy hält die türkischen Mitbewerber naturgemäß für eine kontraproduktive Entwicklung, da sie die Interessenvertretung schwächen würden. "Das ‚Bündnis Mosaik‘ ist ein Zusammenschluss aus verschiedenen türkischen Vereinen. Wir wollen gemeinsam auftreten." Doch türkische Wurzeln allein reichen als verbindendes Element nicht aus. Über die Jahre haben sich einige Gruppierungen vom Bündnis abgespalten und sind mit eigenen Listen angetreten. Ein Produkt dieser Abspaltung ist die "Liste Perspektive" von Ümit Vural. Sie ist mit drei Mandaten die derzeit stärkste von Migranten dominierte Gruppierung in der Arbeiterkammer. Mit einem Kammerrat vertreten ist auch die junge "Union der Österreich-Türkischen ArbeitnehmerInnen in Wien", die 2009 zum ersten Mal angetreten ist.

Die einzige Liste, die keinen Fokus auf Menschen mit türkischem Migrationshintergrund gelegt hat, ist die Liste "Bunte Demokratie für Alle" (BDFA). Die Kandidaten stammen unter anderem aus Ägypten, Nigeria, Österreich, dem Iran und von den Philippinen. Charles Ofoedu ist die Nummer eins auf der Liste. 14 Jahre nach der Gründung des Vereins ist die BDFA zwar noch immer keine starke politische Kraft in der AK, aber sie stellt einen Kammerrat. "Es ist wichtig, dass sich Migranten selbst vertreten. Die großen Fraktionen haben Angst um ihre Wählerschaft", sagt Ofoedu. Resultat dieser Furcht sei, dass man sich nicht für die Belange von Migranten einsetze, wie etwa für das Wahlrecht von Nicht-Staatsbürgern, für das die BDFA Anfang 2000 gemeinsam mit anderen "Migrantenlisten" eingetreten ist.

"Für solche Anliegen werden sich die Großen nie einsetzen", kritisiert Ofoedu. Das passive Wahlrecht - sprich: das Recht für ein Mandat zu kandidieren - gibt es noch nicht lange. "Es sind die zweiten Wahlen, bei denen wirklich alle Staatsangehörige passiv wahlberechtigt sind. Das Wahlrecht ist in einem fünfjährigen Prozess erstritten worden", sagt der Politologe Gerd Valchars.

1999 kandidierten türkische Arbeitnehmer unter der Liste "Gemeinsam Zajedno/Birlikte Alternative und Grüne GewerkschafterInnen/UG". Die Kandidatur wurde gestrichen, weil nur österreichische Staatsbürger das passive Wahlrecht hatten.

Verfassungsgerichtshof hob AK-Wahl von 1999 auf

Die Betroffenen zogen vor den Verfassungsgerichtshof, der zu ihren Gunsten entschied. Der Ausschluss von Türken verstoße gegen das Assoziierungsabkommen mit der Türkei. Darin wird den Migranten Gleichberechtigung in arbeitsrechtlichen Belangen zugesichert. Dazu gehört auch, dass die Arbeitnehmer selbst kandidieren und wählen dürfen. Der Verfassungsgerichtshof hob die AK-Wahl im Dezember 2003 auf. "Sie wurde nur deshalb nicht wiederholt, weil 2004 schon die nächsten AK-Wahlen stattgefunden haben", erklärt Valchars. Durch einen Erlass war es EWR-Bürger und Türken erstmals möglich zu kandidieren. Das eigentliche Gesetz wurde erst 2006, gleichzeitig mit den Regelungen für den Betriebsrat, geändert. Seither ist es egal, ob die Mitglieder einen österreichischen, türkischen oder vietnamesischen Pass haben.

Das AK-Wahlrecht ist eines der wenigen Wahlrechte, die Drittstaatsangehörige haben. Valchars sieht darin eine Erklärung für die starke Repräsentation von Migrantenlisten. Drittstaatsangehörige können nicht wählen, wer im Nationalrat, in Landtagen oder Gemeinderäten sitzt, geschweige denn selbst auf einen Platz in diesen politischen Gremien hoffen. In der Arbeiterkammer ist das anders. Und besser, findet Valchars, der sich in der Vergangenheit verstärkt für ein inklusives Wahlrecht für Nicht-Staatsbürger auf nationaler Ebene ausgesprochen hat. Für ihn hat die AK-Wahl Vorbildcharakter. Denn hier wählt, wer betroffen ist. Theoretisch zumindest. Bei der AK-Wahl 2009 waren 645.151 Menschen wahlberechtigt, lediglich 41 Prozent davon gaben ihre Stimme ab. Laut "Medienservicestelle Neue ÖsterreicherInnen" haben 38 Prozent der Mitglieder der Arbeiterkammer Wien Migrationshintergrund. Ein beachtliches Wählerpotenzial, das die "Migrantenlisten" längst nicht ausgeschöpft haben.