Vier Tage vor der französischen Präsidentschaftswahl weiß die Mehrheit der Wähler noch immer nicht, wem sie ihre Stimme geben wird.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Frankreich steckt seit Jahren in der Krise - wirtschaftlich, politisch, gesellschaftlich. Unter den elf Kandidatinnen und Kandidaten für das Präsidentenamt sprechen jedoch die wenigsten über Reformen. Die Parteien schweigen dazu. Stattdessen dominierten monatelang politische Affären um die Scheinbeschäftigung von Familienangehörigen und Luxusanzüge den Wahlkampf. Trotz insgesamt 3200 Wahlversprechen und etlicher medialer Diskussionen spüren die Wähler diffus, wie der Wahlkampf an den eigentlichen Themen vorbeiläuft. Die traditionellen Kämpfe um (Wirtschafts-)Liberalismus, Staatsverständnis und Nation sind verschwommen.
Früher, in den 1980ern, war es leichter. 1981 gab es einen kommunistischen Kandidaten, Georges Marchais, einen Gewerkschafter. Die kommunistische Partei war damals die vierte Kraft im Land. Marchais sagte zur Parteilinie selbstbewusst und auch ziemlich manieriert viele lustige Sätze in legendär gewordenen Fernsehinterviews. Er hatte nicht nur mit der französischen Grammatik seine Schwierigkeiten, sondern auch mit der Wahrheit, als es um die angeblich überaus positive Bilanz der UdSSR ging. So erkannten die Franzosen, wo er politisch stand: am äußersten linken Flügel des politischen Spektrums, für die Arbeiterbewegung und gegen den Kapitalismus, also links vom sozialistischen Kandidaten François Mitterrand. Links genug, um mit seinen 15 Prozent der Stimmen Mitterrand in der Stichwahl zum Sieg zu verhelfen.
Diese Gewissheit fehlt heute. Die Wähler, die zu 81 Prozent mit dem Wahlkampf unzufrieden sind, scheinen sie zu vermissen. Medienwirksam ist Jean-Luc Mélenchon, seinerzeit Gründer der Front de Gauche, zweifelsohne, mit modernen Hologrammen und geschliffener Rhetorik, die bei Jungwählern gut ankommt. Aber wer weiß ihn mit Sicherheit einzuordnen? Gelegentlich sickert sein Faible für Venezuelas verstorbenen Diktator Hugo Chávez noch durch. Er erfreut sich zunehmender Beliebtheit vor dem ersten Wahlgang (20 Prozent der Befragten, Tendenz aufsteigend) und überspielt seine linksextreme Herkunft. Doch Mélenchon plädiert für die Abschaffung der Fünften Republik und einen politischen Umsturz. Sein umfangreiches Programm enthält aber auch viele Vorschläge, die sich bei Gegnern finden. Den wenig beliebten Kandidaten der Sozialistischen Partei (PS), Benoît Hamon, einen dezidierten Kritiker des sozialliberalen Kurses von Präsident François Hollande, übertrumpft er durch ein noch radikaleres Ausgaben- und Steuerprogramm. Mit der Rechtspopulistin Marine Le Pen teilt er die Bereitschaft zum EU-Austritt. Wie sie und der konservative François Fillon ist Mélenchon für eine Annäherung an Wladimir Putins Russland.
Was bedeutet da noch "links" und "rechts" in der neuen politischen Landschaft? Der junge Umfragefavorit Emmanuel Macron will "in der Mitte" regieren, aber ein Viertel der Franzosen und die Hälfte seiner Anhänger erklären, dass sie nicht wissen, was er nach einem Sieg im zweiten Wahlgang am 7. Mai politisch täte. Frankreich drohen weiterhin Massenarbeitslosigkeit und islamistischer Terror. Daher die tiefe Unzufriedenheit und auch die Sorge.