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May versucht mit Härte zu punkten: Der Kampf gegen den Terror zum zentralen Thema vor den Wahlen am Donnerstag.
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London. Ein Schlag folgt auf den nächsten. Eine Mahnwache löst die andere ab. Vor zwei Wochen noch begannen sich vor Manchesters St. Ann’s Church Sträuße und Karten zu häufen. Nun zündet man nach dem Anschlag vom Samstagabend am Borough Market und auf der London Bridge, im Schatten der Kathedrale von Southwark, die Trauerkerzen an. Entsetzen und Empörung spiegelt sich in den Gesichtern jener Menschen, die sich hier auf Einladung von Bürgermeister Sadiq Khan am Abend des Pfingstmontags versammelt haben. Erneut hat der Terror die Briten heimgesucht und die gesamte Insel in seinen tödlichen Bann geschlagen.
Noch am Sonntag hatte man auf dem alten Cricket-Gelände des Old Trafford in Manchester mit einem Mammutkonzert zugunsten der dortigen Opfer den Albtraum mit etwas Zuversichtlichem von sich abzuschütteln versucht. Ariana Grande, deren Auftritt in Manchester am 22. Mai der Bomber Salman A. zum Ziel seines Angriffs gemacht hatte, war zurück in der Stadt und versuchte zusammen mit anderen Sängern den Einheimischen Mut zuzusprechen. "One Love Manchester" war der Slogan auf tausenden von T-Shirts, Wimpeln und Flaggen.
Drunten an der Themse zählten die Londoner inzwischen schon ihre Opfer, flimmerten schaurige Filmchen unablässig über die Bildschirme der Nation, jagte die Polizei hinter möglichen Verbindungen der drei Täter her, die am Samstag im Bar- und Restaurantviertel von Borough Market, nur hundert Meter von London Bridge entfernt, und auf der Brücke selbst ein so blutiges Chaos angerichtet hatten. Mindestens sieben Tote hatte es bei diesem neuen Anschlag gegeben. 48 Menschen waren verletzt worden, entweder weil sie überfahren oder weil sie in kaltem Mordrausch niedergestochen wurden. Fast die Hälfte davon lag am Montag noch auf Intensivstationen. Viele schwebten in Lebensgefahr.
Systematisch und kaltblütig
Was genau geschah, als gegen zehn Uhr abends der Terror in dem von Zehntausenden frequentierten Gaststätten- und Kneipen-Bezirk Ost-Londons einbrach, ist im Laufe des Pfingstwochenendes in vielen Einzelheiten deutlich geworden. Ein angemieteter Lieferwagen donnerte über die Brücke, scherte plötzlich auf den Gehweg aus und überfuhr und erdrückte Passanten. Als er hundert Meter die Straße hinunter vorm Barrow Boy & Banker Pub einen Pfosten rammte und zum Halten kam, sprangen drei Männer heraus, die Sprengstoff-Gürtel zu tragen schienen. Sie begannen, mit 25 Zentimeter langen Messern wahllos auf Männer und Frauen einzustechen, die ihnen in die Quere kamen.
"Der Lieferwagen überrollte mehrere Leute", berichtete Mark Roberts, einer der Fußgänger. "Er kam bis auf 20 Yards (18 Meter) auf mich zu und kurvte dann zur anderen Straßenseite." Soweit er sehen konnte, seien "fünf oder sechs Leute, die sich nicht mehr rührten, auf dem Boden gelegen". Andere Augenzeugen sahen die drei Messerstecher aus dem Wagen stürzen und unmittelbar auf Passanten einstechen. Ein Mann sagte der BBC, auf dem Weg hätten die drei ausgerufen: "Das ist für Allah!" Ein weiterer Mann erinnerte sich: "Eine Frau starrte die drei an, und sie begannen auf sie einzustechen." Systematisch "und ganz kaltblütig" hätten die Mörder ihre Opfer attackiert. Von der Straße aus begannen die Täter danach in Pubs und Restaurants einzudringen, um ihren Mordzug dort fortzusetzen.
Stundenlang verschanzt
Ein in London wohnender Waliser namens Gareth berichtete der BBC, er und seine Freunde hätten sich schnellstens in einer Toilette im Obergeschoß eingeschlossen, "als wir runterschauten und unten einen Kerl durch die Tür kommen sahen mit einem großen Messer, das wie eine Machete aussah". Geschrei und das Splittern von Glas habe man gehört, sagte Gareth weiter. An mehreren Plätzen schleuderten Restaurant-Gäste Gläser und Stühle gegen die Angreifer, ohne sie damit stoppen zu können. Ein unbewaffneter Polizist stellte sich dem Trio in den Weg, bevor er selbst ein Messer zwischen die Rippen bekam.
Einige Verängstigte hielten sich über eine Stunde lang versteckt, bevor sie offizielle "Entwarnung" bekamen. Und mancherorts dauerte es offenbar recht lang, bis Ambulanzen und Ärzte eintrafen. Die bewaffneten Polizeieinheiten, die seit den Pariser Anschlägen von 2015 vermehrt auch in Londoner Gegenden wie Borough Market patrouillieren, waren dagegen rekordschnell, angeblich binnen acht Minuten, zur Stelle. Sie drängten die drei Täter ab und erschossen sie auf der Straße, nachdem sie über Funk Anweisung dazu bekommen hatten. Fünfzig Schuss wurden abgegeben, um, wie es die Polizei formulierte, "absolut sicher zu sein, dass die ausgeschaltet waren". Die angeblichen Selbstmord-Gürtel erwiesen sich dabei als umgeschnallte Attrappen.
"Ein freundlicher Mensch"
Ebenfalls am Montagabend enthüllte die Polizei die Namen von zwei der drei Täter. Einer war der 27-jährige Khuram Butt und der andere Rachid Redouane, 30 Jahre alt. Butt, von dem jemand am Tatort ein Foto gemacht hatte, wurde von seinen Nachbarn bereits identifiziert, als die Polizei seinen Namen noch zurück hielt.<p>Kopfschüttelnd äusserten sich, die ihn aus nächster Nähe gekannt hatten. Er sei "eigentlich ein freundlicher Mensch", ein Vater zweier kleiner Kinder, gewesen, der gelegentlich mit den seinen Nachbarn Fussball spielte oder ins Fitnessstudio ging und mit jedermann bereitwillig plauderte, hiess es.
Einigen Nachbarn war allerdings auch aufgefallen, dass in der Erdgeschoss-Wohnung Butts "eine Menge Leute" ein und ausgingen - bis der Strom der Besucher "vor kurzem" verebbte. Ein Zeuge berichtete, er sei von Butt nach einem leicht handhabbaren Mietwagen gefragt worden. Und ein dritter erinnerte sich daran, dass sein Nachbar vor zwei Jahren einmal "aus der Moschee geworfen" worden war, als er während einer Predigt den dortigen Imam verbal angriff. Butt wurde damals buchstäblich vor die Tür gesetzt.
Eine Mutter dreier Kinder aus dem selben Wohnblock, Erica Gasparri, hatte Butt vor zwei Jahren sogar der Polizei gemeldet, als sie feststellte, dass er Kinder im öffentlichen Park "zu radikalisieren suchte". Sie habe, erklärte sie am Wochenende, vier Fotos von ihm gemacht und sie der örtlichen Polizeiwache übergeben, die sie an Scotland Yards spezielle Anti-Terrorstelle weiter gab.
Im Anschluss, meinte Gasparri, habe sie allerdings "nie wieder" etwas von der Polizei zu hören bekommen. Niemand hatte Interesse daran gezeigt, mit ihr zu reden. Niemand suchte Kontakt zu ihr.
Inzwischen sind Polizei und Geheimdienste bereits unter beträchtlichen Druck gekommen, Methoden und Umfang ihrer Überwachungs-Aktionen zu rechtfertigen. Khuram Butt scheint Scotland Yard bekannt gewesen zu sein, galt aber offenbar als eine Randfigur der islamistischen Szene. Der dritte Terrorist, bislang ungenannte Terrorist von London Bridge, stammte offenbar nicht aus dem Vereinigten Königreich.
Angesichts des jüngsten Anschlags plant Premierministerin Theresa May nun neue, schärfere Maßnahmen gegen islamistische Gefährder. Denn lang hielt der politische "Waffenstillstand" diesmal nicht, den May mit den anderen Parteien aushandelte, um "Respekt" gegenüber den Opfern des Anschlags zu bezeugen.
In Manchester hatten die Politiker noch mehrere Tage lang das Wahlkampf-Feuer eingestellt. Diesmal, so kurz vor den Unterhauswahlen am Donnerstag, glaubte es sich offenbar niemand leisten zu können, sittsam zu schweigen. Schon im Laufe des Sonntags erklärte die Tory-Regierungschefin: "Genug ist genug." Manche Leute im Lande zeigten "viel zu viel Toleranz gegenüber Extremisten". Jetzt, meinte May, sei es höchste Zeit, "britische Werte" gegen "die böse Ideologie des islamistischen Extremismus" zu verteidigen. In Manchester war vom "Islamismus" bei der Premierministerin noch nicht die Rede gewesen. Jetzt sollen Strafen selbst für Kleintäter drastisch verschärft und die öffentlichen Dienste nach "Extremisten" aller Art abgesucht werden.
Scharf hat der Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn auf Mays neue Appelle reagiert. Die Premierministerin, sagte Corbyn, versuche offenbar, "die Bevölkerung auf die billige Tour zu schützen". Sie habe immerhin, als frühere Innenministerin, 20.000 Stellen im Polizeidienst gekappt. Labour werde 10.000 neue Stellen einrichten. In diese Debatte hat sich am Wochenende auch US-Präsident Donald Trump eingeschaltet, der nicht nur Londons Bürgermeister Khan aus dem Zusammenhang gerissen kritisierte. In einem Tweet-Trommelfeuer nahm Trump den London-Anschlag auch zum Anlass, Stimmung für seinen Plan eines Einreiseverbots für Personen aus islamischen Staaten in die USA zu machen.