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Der erst kürzlich aus dem Pentagon ausgeschiedene und erzkonservative Richard Perle hatte in einem Kommentar im "Spectator" seine Visionen von einer Welt ohne UNO konkretisiert. Demnach würde mit Saddams Schreckensregime auch die UNO in den Abgrund gerissen werden. Perle vertrat weiterhin die Ansicht, dass die linksliberale Einbildung, wonach Völkerrecht und internationale Institutionen Sicherheit schaffen können, eine zum Sterben verurteile Fantasie wäre.
Die UNO wäre aus der Asche jenes Krieges, den der Völkerbund nicht verhindern konnte, entstanden und sei hilflos gegenüber Italien und Nazi-Deutschland gewesen. Im Kalten Krieg sei der Sicherheitsrat hoffnungslos gelähmt gewesen. Außerdem habe nicht die UNO das Sowjetreich besiegt und Osteuropa befreit, sondern die Mutter aller Koalitionen, die NATO.
Die UNO hätte angesichts von Milosevic' Aggressionen weder den Balkankrieg stoppen noch dessen Opfer schützen können. Erst eine "Koalition der Willigen" habe Bosnien gerettet. Die Verhinderung einer humanitären Katastrophe im Kosovo - so Richard Perle - sei nie vom Sicherheitsrat genehmigt worden.
Diese Argumente entbehren - zumindest auf den ersten Anschein hin - nicht einer gewissen Plausibilität, bedenkt man vor allem, dass die UNO seit ihrem Bestehen von Struktur- und Handlungsschwächen geprägt ist, die sich nicht leugnen lassen. Bei näherer Betrachtung erkennt man allerdings, dass Perles Argumente gegen die Trägerorganisation des internationalen Völkerrechts von Widersprüchen und der Verwechslung von Ursache und Wirkung gekennzeichnet sind.
Seit dem Bestehen der UNO setzte sich die Erkenntnis durch, dass diese nur so stark sein kann wie ihre Mitglieder. Die USA waren aber nie ein sonderlich starkes Mitglied: Laufende Veto-Blockaden im UN-Sicherheitsrat, ständiger Boykott der Beschlüsse der UN-Weltkonferenzen und über Jahre hinweg ausstehende Beitragszahlungen charakterisieren im Wesentlichen ihre Mitgliedschaft.
Dass sich der Völkerbund gegenüber dem faschistischen Italien und Nazi-Deutschland als hilflos erwiesen hätte, ist historisch falsch. Der Völkerbund wurde von den damaligen Kriegsmächten systematisch zerschlagen, um überhaupt die Angriffskriege des Zweiten Weltkriegs zu ermöglichen, genau so wie es jetzt die USA mit der UNO tun. Befremdend ist auch, dass Perle den Zerfall der Sowjetunion und die Auflösung des Warschauer Paktes auf die NATO zurückführt. Er unterschlägt dabei die Rolle der damaligen KSZE im Ausgleichsprozess zwischen Ost und West sowie Michail Gorbatschows "Perestroika" und "Glasnost", die eine Konvergenz zwischen den damaligen Supermächten überhaupt ermöglicht hat. Hätte sich die NATO dieser Sache angenommen, wäre die Welt mit Sicherheit an einem Atomkrieg zu Grunde gegangen.
Perles Behauptung, der UN-Sicherheitsrat hätte Milosevics kriegerischem Treiben tatenlos zugesehen, ist ebenfalls unrichtig. Während der UN-Sicherheitsrat sich laufend um entsprechende Resolutionen bemühte, kümmerten sich die USA über all die Jahre herzlich wenig um Ex-Jugoslawien und betrachteten den Konflikt als europäische Angelegenheit. Die Forderung des UN-Generalsekretär Boutros Ghali nach einer Aufstellung einer eigenen UN-Armee, die gemäß Kapitel VII der UN-Charta auch militärische Maßnahmen gegen einen aggressiven Staat durchsetzen könnte, stieß bei den USA schon damals und bis zum heutigen Tage auf taube Ohren.
Das von Perle so genannte "Scheitern" der UNO lässt sich unter der Berücksichtigung der oben erwähnten Tatsachen auf eine klare US-amerikanische Strategie zurückführen, die ihre Ursprünge in den frühen 90er Jahren hat: Als George W. Bushs Vater die Vision von einer "New World Order" ersonnen hatte, erwies sich die UNO schon zu diesem Zeitpunkt als hinderlich. Der Krieg gegen den ehemals Verbündeten Saddam Hussein war zwar militärisch erfolgreich, politisch reichte er für den Auftakt zu einer Neuen Weltordnung nicht aus. Im Schatten der demokratischen Wende unter Bill Clinton entwarfen Leute wie Paul Wolfowitz, Condoleeza Rice, Donald Rumsfeld, Dick Cheney und George W. Bush einen republikanischen Neo-Konservativismus, der das zu Ende bringen sollte, woran George Bush senior zu Beginn der 90er Jahre gescheitert war: Eine vollendete Neue Weltordnung, die auf einer Unipolarität und Hegemonie der USA beruht und fernab des internationalen Völkerrechts ihre geopolitischen und neo-liberalen Interessen mittels US-amerikanischer militärischer Alleingänge durchzusetzen vermag. Um dieser Strategie Nachdruck und Legitimität zu verleihen, wurde das seit dem Zweiten Weltkrieg bestehende und international verbindliche Völkerrecht im Zuge des Kosovo-, Afghanistan- und derzeit stattfindenden Irak-Krieges durch die unhaltbare Anwendung von dem "Recht auf Selbstverteidigung" umgangen, außer Kraft gesetzt und letztendlich als selbstverschuldetes Scheitern der UNO hingestellt. Der Wahnsinn hat also Methode...
Schon zu Zeiten als man sich ernsthaft Gedanken über die Aufwertung der Vereinten Nationen machte, wurde so manchen klar, dass gegen die Interessen der USA keine UNO-Reform möglich ist. Damit bleibt nur noch zu hoffen, dass die USA selbst erkennen werden, dass eine multilaterale Weltordnung, die auf völkerrechtlich verbindlichen Säulen steht, für die Weltgesellschaft unabdingbar ist. Denn mit anarchistischem Faustrecht ist weder ein tyrannischer Staat zu entwaffnen noch die sensible Nahost-Region zu befrieden.
Ronald H. Tuschl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Österreichischen Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK) in Stadtschlaining.