Zum Hauptinhalt springen

Der Währungsfonds zeigt sich von der weichen Seite

Von Hermann Sileitsch

Politik

Trotz interner Widerstände übt der IWF Nachsicht mit Europas Krisenländern.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Tokio. Wie schnell sich der Wind drehen kann: Als im März 2010 hektisch an Notfallplänen für Griechenland gebastelt wurde, forderten viele Europäer, der Internationale Währungsfonds (IWF) müsse unbedingt mit an Bord sein. Nur so sei gewährleistet, dass die Griechen ihren Spar- und Reformkurs strikt einhalten. Der EU-Kommission und der Europäischen Zentralbank traute man die nötige Härte nicht zu - schließlich hatte die Disziplinierung von Schuldensündern schon beim Stabilitätspakt ("Maastricht-Vertrag") nicht geklappt.

Hans-Werner Sinn vom Münchner Ifo-Institut forderte damals überhaupt, der IWF solle alleine eingreifen. Harte Sparauflagen würden in Griechenland nämlich auf Dauer zu Protesten führen. Und, so Sinn im März 2010: "Es ist besser, wenn sich der Zorn gegen den IWF richtet als gegen uns." Er hatte recht: Knapp drei Jahre richtet sich der Zorn der Griechen tatsächlich gegen Berlin und gegen Kanzlerin Angela Merkel, die jüngst in Athen erneut mit Hitler-Bildern und Nazi-Vorwürfen empfangen wurde.

Kurswechsel beim Fonds

Und was ist mit dem IWF? Ausgerechnet der einstige Scharfmacher, der neoliberale Gottseibeiuns aller Linken, tut sich durch Sanftmut hervor. Der Währungsfonds vertritt jetzt einen viel weicheren Kurs als seine europäischen Troika-Partner, wie bei der aktuellen Jahrestagung in Tokio, die noch bis Sonntag andauert, erneut klar wurde.

Die Richtungsänderung ist freilich nicht so abrupt, wie sie scheint: Schon vor Monaten hatte sich Währungsfonds-Chefin Christine Lagarde dagegen gewandt, sklavisch irgendwelchen Schuldenzielen nachzujagen, wenn das Wachstum ausbleibt. Sinnvoller sei es, konsequent seine Spar- und Reformziele zu verfolgen. Wer diese aber laufend verschärft, würgt das Wachstum noch mehr ab - und verfehlt die Ziele erst recht. In der Rezession hat die Konsolidierung von Staatsfinanzen selten geklappt.

Wachstum ist überdies auch für die Entwicklungsländer in Afrika, Lateinamerika und Asien essenziell - diese seien gegen die globale Unsicherheit nicht immun, warnte Weltbank-Präsident Jim Yong Kim.

Der IWF setzt die Medizin des Sparens und Kürzens nicht ganz ab, verringert aber die Dosis. Das ist keine Selbstverständlichkeit: Schließlich hat der Fonds selbst für Griechenland die Zielmarke einer Schuldenquote von 120 Prozent bis 2020 gesetzt - nur dann sei die Nachhaltigkeit der Finanzen gewährleistet. Dass Athen dieses Ziel mit Pauken und Trompeten verfehlt, ist jetzt schon klar. Damit steht der IWF jedoch vor einem Problem: Laut seinen Statuten darf er einem Land nur helfen, wenn dieses zumindest ein Jahr lang ausfinanziert ist und eine Zukunftsperspektive hat.

Dennoch forderte Lagarde in Tokio deutlicher denn je, den Krisenländern mehr Zeit zu lassen. Griechenland solle zwei zusätzliche Jahre zur Haushaltssanierung bekommen. Genau darum hatte der griechische Premier Antonis Samaras zuletzt flehentlich gebeten. Dann würde aber wohl ein drittes Hilfspaket gebraucht. Auch Portugal und Spanien will Lagarde mehr Zeit zur Konsolidierung einräumen. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel reagierte ausweichend auf die geforderte Nachfrist für Griechenland: Man werde den Troika-Bericht der internationalen Gläubiger abwarten. "Das ist Grundlage für unsere Bewertung", sagte sie in Berlin.

Lagardes Nachsicht mit Europa stößt allerdings auch IWF-intern auf Kritik. Das Tricksen bei den Griechenland-Berichten kratzt an der Reputation des Fonds. Und aufstrebende Schwellenländer wie Brasilien haben wenig Verständnis, dass die größten Kreditrisiken ausgerechnet im reichen Europa eingegangen werden.

Vor neuem Schuldenschnitt?

Warum hat der IWF dann seinen Kurs geändert? Aus Realitätssinn. Während Merkel in Sachen Griechenland stets immer im Hinterkopf hat, was der Bevölkerung, dem Bundestag und Bundesverfassungsgericht zugemutet werden kann, weiß Lagarde, dass die ständige Verschärfung der Sparpolitik in die Sackgasse führt.

Deshalb war der IWF schon beim ersten Schuldenschnitt die treibende Kraft. Dieser hat zwar private Gläubiger wie Banken und Pensionsfonds ordentlich rasiert, Griechenlands Schuldenstand aber kaum gesenkt. Der Grund: Die Hilfen aus den Rettungsschirmen sind keine Geldgeschenke, sondern Kredite - welche trotz günstiger Konditionen die Verschuldung erhöhen.

Der IWF macht deshalb Druck für einen neuerlichen Schuldenschnitt: Jetzt sollen die europäischen Kreditgeber selbst ihre Forderungen reduzieren. Die EZB hat das für die griechischen Anleihen in ihrer Bilanz jedoch bereits ausgeschlossen: Eine freiwillige Beteiligung am Schuldenschnitt wäre eine Staatenfinanzierung, die laut EZB-Statut verboten ist.

Bleiben nur die Hilfskredite aus dem Eurorettungsschirm. Während Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble einen Schuldennachlass oder eine Fristerstreckung kategorisch ausschließt, könnte sich Rainer Brüderle, Fraktionschef der kleineren Regierungspartei FDP, nun eine Laufzeitverlängerung der Hilfskredite vorstellen, sagte er am Mittwoch in Brüssel.

Deutsche Stimmung dreht

Was wäre auch die Alternative? Würden die Griechen jetzt noch in die Pleite und aus der Währungsunion getrieben, so wäre das so, als stellte man einem Intensivpatienten die lebenserhaltenden Maschinen just in dem Moment ab, indem er beginnt, aus dem Koma zu erwachen.

Das sieht sogar die deutsche Bevölkerung ein: Im jüngsten ZDF-Politbarometer gab erstmals eine zarte Mehrheit von 46 Prozent an, dass Griechenland im Euroraum bleiben solle (45 Prozent sind dagegen). Im August hatten noch 61 Prozent gegen und nur 31 Prozent für einen Verbleib Griechenlands plädiert.

Griechenland durchlebt 2012 das fünfte Rezessionsjahr in Folge. Die herben Lohnkürzungen haben aber die Wettbewerbsfähigkeit zumindest so weit erhöht, dass die Industrieproduktion im August 2012 erstmals seit mehr als vier Jahren gestiegen ist. Deshalb wird der Troika-Bericht, der spätestens für November erwartet wird, kritisch, aber nicht vernichtend ausfallen. Niemand zweifelt derzeit, dass die nächste Hilfstranche von 31,5 Milliarden Euro nach Athen fließen wird.