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Der Waldheim-Code der Medien

Von Engelbert Washietl

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Der Autor ist Vorsitzender der "Initiative Qualität im Journalismus"; zuvor Wirtschaftsblatt, Presse, und Salzburger Nachrichten.

Über Waldheims Fehler sind Bibliotheken geschrieben worden. Der Mechanismus der Entpersönlichung eines Medienobjektes durch die Medienindustrie wurde bisher wenig beachtet. | Kurt Waldheim ist der erste Fall eines weltweit bekannten Politikers gewesen, der von der Medienindustrie so vereinnahmt wurde, wie es vordem lediglich mit Filmstars, Prinzessinnen oder Reederei-Tycoons geschah. Waldheim war vom ersten Augenblick des Wahlkampfes 1986 Content im modernen Sinn, freilich mit dem großen Unterschied zu den Starlets der Klatschpresse, dass sich sein Fall für die Primetime in Politik und Kommentar eignete.


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Ein Global-Promi hinterlässt als Generalsekretär der Vereinten Nationen manche offene Rechnung im Großmächtespiel, begibt sich in die innen- und parteipolitische Kampfstellung um das höchste Amt in einem leicht exotischen Kleinstaat und gerät durch die hypothetische Annahme von Kriegsverbrechen in die Drehorgel der internationalen Massenmedien. Ab da ist er nicht mehr Waldheim, sondern ein Schlüsselelement im Baukastensystem für jenen Stoff, mit dem Medien und Politik aufgeladen werden.

Der Medienhype erzeugt sofort die blinde Erwartung, dass eintritt, was nicht anders sein kann, weil es so schaurig-wild ist: ein Nazibonze ist zuerst in den Nadelstreif des UN-Generalsekretärs und dann des Bundespräsidenten geschlüpft. Die Figur gewinnt in wenigen Wochen eine Realität wie in Second Life.

Bei den großen internationalen Nachrichtenagenturen, die mit digitalen Kommunikationstechniken in Wort und Bild globale Gleichzeitigkeit und auch Gleichförmigkeit der Information herstellen können, bleibt die Nadel wie auf einem alten Plattenspieler hängen. Sie spielen das Stück in unzähligen Variationen. Es geht nicht mehr um Kurt Waldheim, es geht um den Stoff. Keine Historikerkommission der Welt kann Waldheim davor retten.

Diese hypothetische Mediengeschichte hat ihn bis heute überlebt. Weil nichts Schlimmeres gefunden wurde, hat sie sich zur Phrase komprimiert, er sei mit seiner Vergangenheit nicht fertig geworden. Über die Unfähigkeit Waldheims, die Dimension der Affäre zu erfassen, geht die Literatur ins Endlose und wird sogar in seinen eigenen letzten Worten thematisiert. Wenigstens in Österreich flackert an der Bahre der Minimalkonsens auf, er habe durch seine Schwächen seine Landsleute dazu gebracht, sich ihrer Geschichte zu stellen, was gewiss stimmt und nötig war.

Der Waldheim-Code jedoch, den sich die globale Medienindustrie auf Grund ihrer immanenten Gesetzlichkeiten schuf, bleibt wirksam. Dank der Vernetzung zwischen Medien und Politik hat er auch die politische Ebene noch immer im Griff.

In erstaunlichem Freimut beschrieb Doron Rabinovici beim "Runden Tisch" am vergangenen Donnerstag den Vorgang der Entpersönlichung der medientauglichen Galionsfigur Waldheim. Rabinovici schleppte am Höhepunkt der Auseinandersetzungen das Anti-Waldheim-Pferd quer durch Österreich, sah aber keine Notwendigkeit, dass er das Objekt seiner Aggression jemals treffen oder gar sprechen hätte sollen. Sein Kampf galt nicht Waldheim, sondern dem System, sagte Rabinovici sinngemäß.

Der Einzelfall Waldheim wird damit zum abstrahierten Generalthema. Die letzte Bitte um Versöhnung geht ins Leere, weil der Verstorbene als mediales Konstrukt weiter lebt. Insofern ist die Weigerung der Amerikaner, Waldheim von der Watchlist zu streichen, von abgründiger Logik. Das Einreiseverbot gilt für den Passinhaber, auch wenn dieser schon tot ist. Im Sarg liegt nämlich nur ein Mr. Waldheim, aber nicht der, der in seinem Second Life verdächtig gefährlich bleiben soll.