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Der Rechtsprofessor wurde als Experte italienischer Premier und musste dann als Mittelsmann populistische Kräfte zusammenführen. Mit der Übernahme der Fünf-Sterne-Bewegung ist Conte zum Politrebellen mit Sprengkraft geworden.
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Für viele kommt Italiens politische Instabilität im Hochsommer, inmitten nationaler und globaler Krisen, zur Unzeit. Tausende italienische Bürgermeister und Verbände sowie internationale Staats- und Regierungschefs rufen Premier Mario Draghi zum Bleiben auf. Morgen wird sich in den römischen Parlamentskammern entscheiden, ob die Regierung unter der Führung des früheren Chefs der Europäischen Zentralbank in irgendeiner Form fortbestehen wird. Eine koalitionsinterne Rebellion der Fünf-Sterne-Bewegung hatte Italien vergangene Woche eine Regierungskrise beschert und Draghi an den Rand der Resignation getrieben. Fünf-Sterne-Chef Giuseppe Conte übernimmt in diesem Politdrama eine nicht unwesentliche Hauptrolle. Der 57-Jährige betrat selbst erst vor vier Jahren das politische Parkett und unternahm seither eine bemerkenswerte Wandlung.
Ein No-Name an der Spitze
2018 erzielte die linkspopulistische Fünf-Sterne-Bewegung bei den Parlamentswahlen einen Erdrutschsieg. Für die ungewöhnliche Koalitionsehe mit der rechtspopulistischen Lega trat ein gut aussehender Jus-Professor aus Apulien auf den Plan. Giuseppe Conte, ein politischer Neuling, dessen Name wohl nur Studenten in Rom und Florenz ein Begriff war, sollte als Mittelsmann das Konzert entgegengesetzter politischer Kräfte dirigieren. Doch während Conte das Gesicht nach außen war, zogen in seinem Schatten seine Stellvertreter, Lega-Chef Matteo Salvini und Fünf-Sterne-Vorsitzender Luigi Di Maio, die Fäden. Für seine mitunter unbeholfenen Auftritte, bei denen oft sichtbar wurde, wie unverhohlen ihm Salvini und Di Maio die Gangart diktierten, geriet der Professor für Privatrecht rasch in das Kreuzfeuer oppositioneller Kritik. Ihm wurde vorgeworfen, für seine populistischen Stellvertreter nur als reiner Erfüllungsgehilfe zu dienen. Dabei deklarierte sich Conte stets selbst als Populist und hielt "ideologische Schablonen für überholt".
Sein Debüt auf der großen internationalen Bühne feierte der Jurist im selben Jahr beim G7-Gipfel in Kanada. Dort plädierte er für die Wiederaufnahme Russlands in den Kreis der bedeutendsten Wirtschaftsmächte. Es hagelte einiges an Tadel, Donald Trump aber lobte Conte als "wirklich großartigen Typen". Gerade sein Verhältnis - und das seiner späteren Partei, der Fünf-Sterne-Bewegung - zu Russland und Wladimir Putin haften dem geschiedenen Familienvater bis heute an. An der Problematik italienischer Waffenlieferungen an die Ukraine und wirtschaftlicher Sanktionen gegen Russland entzündete sich schließlich vor Wochen auch ein koalitions- und parteiinterner Konflikt. Die Folge war der Parteiaustritt seines Weggefährten Luigi Di Maio.
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Die politische Liaison mit Matteo Salvinis Lega hatte bereits 2019 mit der Aufkündigung des populistischen Experimentes einen ersten Bruch erlebt. Die im Spätsommer 2019 neu erwachsene Allianz aus Fünf-Sterne-Bewegung und Demokratischer Partei machte Conte erneut zum Premier, der von nun an über seine vormalige Statistenrolle hinauszuwachsen begann. Mit Beginn der Corona-Pandemie erlebte die politische Karriere des Süditalieners schließlich ein zwischenzeitliches Hoch. Durch strikte, aber stringente und vom Großteil der Bevölkerung mitgetragene Maßnahmen sowie eindringliche Appelle, die Conte geschickt auch über soziale Medien spielte, schuf er großes Vertrauen. Seine Zustimmungswerte kletterten auf mehr als 70 Prozent. Aus dem Strohmann wurde ein Staatsmann, der auch international hohes Ansehen genoss.
Leichtfertiger Vorstoß
Ansehen, das der Uniprofessor mittlerweile wieder verspielt haben dürfte. Nicht etwa, weil er sich in seinem Lebenslauf Unregelmäßigkeiten hinsichtlich seiner akademischen Karriere erlaubte oder mittlerweile seine Parteilosigkeit aufgab, um die Führung der Fünf-Sterne-Bewegung zu übernehmen. Vielmehr, weil er Draghi, der das Premiersamt nach einer erneuten Krise Anfang 2021 übernahm, mit politischen Forderungen knebelte und der breiten Regierungskoalition das Vertrauen entzog.
Ob sich Conte dabei von parteiinternen Ängsten einer schwindenden Bewegung leiten ließ oder vielmehr persönliche Befindlichkeiten den Anstoß für den Bruch gaben, bleibt für die politische Gegner- und Wählerschaft unerheblich. Präsent ist das Bild eines ehemals besonnenen Parteilosen, der leichtfertig Italiens fragile politische Stabilität aufs Spiel setzt.