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Der Wandelbare

Von Gerhard Lechner

Politik

Guido Westerwelle, der ehemalige deutsche Außenminister und FDP-Chef, hat seinen Kampf gegen den Krebs verloren.


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Köln/Berlin. Guido Westerwelle ist tot. Der frühere deutsche FDP-Vorsitzende, von 2009 bis 2013 Außenminister seines Landes, hat den Kampf gegen seinen hartnäckigen, besonders gefährlichen Blutkrebs in der Uniklinik in Köln verloren. Deutschland trauert: Bundespräsident Joachim Gauck würdigte Westerwelle als leidenschaftlichen Demokraten und Europäer. SPD-Chef Sigmar Gabriel zeigte sich "tief bestürzt", der FDP-Vorsitzende Christian Lindner twitterte: "Mir fehlen die Worte. Guido hat so gekämpft. Die Trauer ist groß." Kanzlerin Angela Merkel zeigte sich "tief erschüttert" und sprach von Westerwelle als einem "empfindsamen und nachdenklichen Menschen", dessen Wort "auch Gültigkeit hatte". Aus allen Trauerbekundungen sprach persönliche Anteilnahme.

Westerwelle war trotz seiner relativen Jugend über lange Jahre ein Fixstern der deutschen Politik. Früh fiel der 1961 im rheinischen Bad Honnef Geborene als wortgewaltiges politisches Nachwuchstalent auf. Anfang der 1980er Jahre zählte Westerwelle zu den Gründern der "Jungen Liberalen", der sogenannten Julis, und stieg bald zum Vorsitzenden der Gruppierung auf. Die FDP, die sich zu dieser Zeit anschickte, die sozialliberale Koalition mit Bundeskanzler Helmut Schmidt zu verlassen, hatte Probleme mit ihrem linksliberalen Jugendverband, den "Jungdemokraten", die die Wende in Richtung CDU nicht mittragen wollten.

Legendärer Spaßwahlkampf

Nachdem die Jungdemokraten nach der Wende 1982 die Partei verließen, war der Weg für Westerwelles Gruppe frei - und der Rheinländer legte rasch eine Bilderbuchkarriere hin: Im Alter von 33 Jahren wurde der blendende Redner Generalsekretär der FDP, und 2001, mit 39 Jahren, erreichte er parteiintern den höchsten Gipfel: Westerwelle übernahm den Vorsitz der FDP. Seinen Führungswillen brachte er dabei stets offen zum Ausdruck: "Auf einem Schiff, das dampft und segelt, gibt’s einen, der die Sache regelt - und das bin ich."

Es waren Sprüche wie diese, mit denen Westerwelle seine oppositionelle Kleinpartei FDP im rot-grün regierten Deutschland immer wieder über die Aufmerksamkeitsschwelle hob. Ebenso oft eckte der forsche Jurist, der in der Öffentlichkeit oft wie ein leicht streberhafter Musterschüler wirkte, mit einer solchen Taktik aber auch an. Bis heute in Erinnerung ist Westerwelles Spaßwahlkampf für die Bundestagswahlen im Jahr 2002: Die Auftritte mit dem "Guidomobil", einem knallgelben Wahlkampfbus, oder der Gastauftritt Westerwelles in der Reality Show Big Brother wirkten beim Wähler eher kontraproduktiv: Die allzu offen zur Schau gestellte Lockerheit des Spitzenkandidaten einer Kleinpartei, der sich zum Kanzlerkandidaten ausrufen ließ, lud zum Spott ein. Dass Westerwelles FDP ausgerechnet die in der rechtsextremen Szene beliebte Zahl 18 als Ziel für die Bundestagswahl überall - auch auf Westerwelles Schuhsohlen - anbringen ließ, passte in das Bild eines Fettnäpfchen-Wahlkampfs. Am Ende erreichte die FDP nicht 18, sondern nur 7,4 Prozent.

Westerwelle verstand die Botschaft und läutete eine Wende ein. Fortan setzte er auf betonte Seriosität und griff die rot-grüne Koalition in Sachfragen hart an. Westerwelle wurde zum guten Kommunikator und brachte sein liberales Credo - Steuern runter, "mehr Netto vom Brutto" - unters Volk. Dass seit 2005 eine große Koalition regierte, erleichterte ihm die Aufgabe. 2009 war er am Gipfel angelangt: 14,6 Prozent erreichte seine FDP bei der Bundestagswahl. Das bei liberalen Ideen stets vorsichtige Deutschland schien sich gewandelt zu haben. Alles erwartete, dass der starke Mann der FDP in der schwarz-gelben Koalition das Amt des Finanzministers anstreben und liberale Reformen durchsetzen würde.

Bestgehasster Außenminister

Doch Westerwelle, ein Fan von Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher, übernahm das Außenamt. Reformen blieben aus, Westerwelle polarisierte mit forschen Aussagen, etwa der von der drohenden "spätrömischen Dekadenz" im Sozialstaat. Rasch sanken die Werte der FDP ins Bodenlose, die Partei schaffte in mehreren Ländern nicht mehr den Einzug in den Landtag. Die Nervosität in der Partei stieg, zumal sich Westerwelle anfangs auf internationalem Parkett schwer tat: Dass er einen deutschen Libyen-Einsatz verweigerte, wurde ihm in Zeitungen vorgehalten. Dass er sich in einer Pressekonferenz in Deutschland weigerte, eine Frage auf Englisch zu beantworten ("Es ist Deutschland hier"), sorgte für Spott. Westerwelle wurde zum bestgehassten Außenminister aller Zeiten - obwohl sich seine Bilanz laut Beobachtern durchaus sehen lassen konnte. Im April 2011 gab er parteiintern auf und trat als FDP-Chef zurück, 2013 flog die FDP aus dem Bundestag.

Geschätzt wurde Westerwelle in Deutschland für die Haltung zu seiner Homosexualität, zu der er sich offen bekannte. Westerwelle lebte mit dem Sportmanager Michael Mronz in eingetragener Partnerschaft. Sein Umgang mit seiner schweren Krankheit, die er in dem Buch "Zwischen zwei Leben" offen und ehrlich schilderte, flößte vielen Respekt ein. "Ich habe einen Plan: zu überleben", sagte Westerwelle noch im Herbst, als es so aussah, als habe er den Krebs besiegt. Doch die Krankheit war leider stärker. "Wir haben gekämpft. Wir hatten das Ziel vor Augen", ließ er unter einem gemeinsamen Bild mit Mronz ausrichten. Und: "Die Liebe bleibt".