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Der Weckruf im Sonnensystem

Von Eva Stanzl

Wissen
Spektakuläres Projekt der ESA: Erstmals wird ein Komet direkt untersucht.
© ESA/C. Carreau

Mit an Bord sind mehrere komplexe Analysegeräte aus Österreich.


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Darmstadt/Graz/Wien. 807 Millionen Kilometer von der Erde entfernt gibt der Bordcomputer den Impuls. Aufgewacht! Die Raumsonde "Rosetta" kippt aus dem Schlaf. "Wo bin ich?", ist die erste Frage. Sie erwärmt ihre Sternensensoren, fährt diese aus und bestimmt ihre Position. Dann setzt sie die Düsentriebwerke in Gang, baut Drehmoment ab und schwenkt sich in Richtung Erde ein. Damit ihre Paneele zur Sonne zeigen, muss Rosetta zu ihrem Heimatplaneten schauen. Nur so kann sie möglichst viel Energie aufnehmen. "Ich bin wach!", funkt sie in Bit-Information hinunter zu uns: "Ich bin empfangsbereit für Eure Signale." Wenn am Montag um 11 Uhr alles gut geht, wird der automatische Weckruf für die Raumsonde "Rosetta" in etwa so ablaufen.

Vor fast zehn Jahren, am 2. März 2004, wurde der Satellit der Europäischen Raumfahrtagentur ESA auf seine Reise zum Kometen "67P/Tschurjumow-Gerassimenko" geschickt. Da Sonden im Weltraum mangels Einwirkung von Gravitationskräften auch ohne Antrieb weiterfliegen, wurden Rosettas Geräte am 8. Juni 2011 in einen energiesparenden Tiefschlaf versetzt.

Am Montag soll sich die Sonde selbst einen Weckruf geben und mit dem ESA-Kontrollzentrum in Darmstadt Kontakt aufnehmen. Ihr Ruf wird 45 Minuten brauchen, um uns zu erreichen, die ESA rechnet mit dem ersten Signal zwischen 18.30 und 19.30 Uhr Mitteleuropäischer Zeit. In der Folge testet Rosetta ein Gerät nach dem anderen, das sie an Bord hat. Ende Mai wird sie auf Kurs zum Rendezvous mit "Tschurjumow-Gerasimenko" gebracht. Im August soll die Sonde zu dem mit 100.000 Kilometer pro Stunde dahinrasenden Kometen aufgeschlossen haben und in eine Umlaufbahn um ihn einschwenken. Höhepunkt der Mission ist die Landung auf dem Kometen im November. Rosetta soll erstmals einen Kometenkern direkt und über lange Zeit untersuchen. Astronomen zufolge bestehen Kometen aus jenem Material und enthalten jenen interstellaren Staub, aus dem sich vor 4,5 Milliarden Jahren Sonne und die Planeten gebildet haben. Die ESA rechnet damit, dass die Mission Aufschlüsse über die Ursprünge des Sonnensystems bringt, ähnlich wie der namensgebende "Stein von Rosetta" die Entzifferung der ägyptischen Hieroglyphen ermöglicht hat. Auch neue Hinweise darauf, ob Kometen einst Wasser und Leben auf die Erde brachten, könnten Ergebnis der eine Milliarde Euro teuren Mission sein.

Ein regelmäßiger Besucher

"Tschurjumow-Gerasimenko" ist ein regelmäßiger Besucher des Sonnensystems. Er hat einen Durchmesser von vier Kilometern und umkreist alle sechseinhalb Jahre unseren Heimatstern auf einer Umlaufbahn zwischen Jupiter und Erde. Wenn die Sonde am Montag geweckt wird, wird sie neun Millionen Kilometer von "Tschurjumow-Gerasimenko" entfernt sein. Nach fast zehn Jahren Reisezeit bereitet die Aufwachphase den Forschern allerdings durchaus Sorgen. "Schon bei der Positionierung könnte es Schwierigkeiten geben", sagt Wolfgang Baumjohann, Leiter des Instituts für Weltraumforschung (IWF) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Graz: "Es könnte sein, dass sich der Satellit nicht zur Erde einschwenkt." Das läge nicht etwa daran, dass die ESA-Ingenieure schlecht geplant hätten, sondern an der Länge der Reise und den notwendigen Ruhephasen. "Wer rastet, der rostet, das gilt auch für die mechanischen Teile der Sonde", sagt Baumjohann.

Das vom IWF entwickelte Instrument "Midas" soll den Kometenstaub analysieren. Das spezielle Mikroskop ist eines von mehreren österreichischen Beiträgen zu der Mission. "Midas" besteht aus einem Mechanismus zum Staubsammeln und einem Rasterkraftmikroskop, das ein hochauflösendes, dreidimensionales Bild der Staubteilchen liefert. Eine hauchdünne Siliziumnadel wird die Körnchen abtasten und Informationen über deren Struktur liefern. Weiters soll das Experiment "Cosima", dessen Steuerungselektronik ebenfalls vom IWF stammt, die chemische Zusammensetzung der Staubkörnchen analysieren.

Landung mit Harpunen

Die Magnetfelder um den Kometen stehen im Mittelpunkt des Experiments "RPC-MAG" zur Langzeituntersuchung des Kometenschweifs. Das IWF hat die Datenerfassungseinheit entwickelt. Außerdem war es an Instrumenten für die Landeeinheit "Philae" beteiligt: Sie soll auf der Kometenoberfläche aufsetzen. Dazu wird die Sonde den Lander abkoppeln. Wegen der geringen Anziehungskraft des Kometen sollen spezielle Vorrichtungen dafür sorgen, dass "Philae" auf der Oberfläche bleibt und nicht zurück ins Weltall katapultiert wird. Zwei Harpunen sollen den Lander nicht nur verankern, sondern auch die Eigenschaften des Bodens untersuchen.

Kopfzerbrechen bereiten die Gyroskope, die die Sonde stabilisieren. Einer der vier Kreisel ist bereits ausgefallen, ein weiterer sei nicht mehr in Ordnung gewesen, als die Sonde in die Schlafphase versetzt worden sei, so Baumjohann. Wenn sie nun ausfallen, müsste zusätzlich mit den Steuerdüsen stabilisiert werden, was die Treibstoffvorräte senkt.

"Rosetta" wurde 2004 übrigens mit Verspätung gestartet. Grund dafür war der Absturz der Trägerrakete "Ariane 5" kurz vor dem für Anfang 2003 geplanten Start. Das ursprüngliche Ziel der Mission, Komet "Wirtanen", musste deshalb aufgegeben werden. Am Ende ihrer Mission Ende 2015 wird "Rosetta" 7,1 Milliarden Kilometer zurückgelegt haben.