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Der Weg der Stimme in den Nationalrat

Von Simon Rosner

Politik

Das System, wie die 183 Mandate vergeben werden, ist kompliziert. Höchste Zeit also, es genau zu erklären [Update].


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Im Deutschen Bundestag ist 2017 eine Schallmauer durchbrochen worden. 709 Abgeordnete sitzen im deutschen Parlament, womit der Bundestag das größte frei gewählte nationale Parlament der Welt ist. Nach der Wahl 2002 waren es 100 Abgeordnete weniger. Dass der Mandatsstand in Deutschland flexibel ist, hängt mit dem Wahlrecht zusammen. Es wurde 2013 zum letzten Mal geändert und ist nun noch komplizierter, als es schon war. Es gibt Mehrmandate, Übergangsmandate und Ausgleichsmandate - wahrlich ein System für Feinspitze.

In Österreich ist alles überschaubarer. Wie es sich für ein kleines Land auch gehört. Bei Nationalratswahlen gibt es 183 Mandate zu vergeben, nicht mehr, nicht weniger. Wobei das bei der Wahlrechtsreform 1970, als der Nationalrat zuletzt erweitert wurde, zunächst gar nicht sicher war. Denn ein Ministerrats-Beschluss vom 13. Oktober 1970 sah noch vor, dass pro 25.000 Stimmen ein Mandat vergeben werden soll, erst im Landeswahlkreis, dann bundesweit. Damit hätte auch Österreich ein Parlament mit flexibler Größe erhalten.

Beschlossen wurde wenige Wochen später aber eine fixe Zahl. Aus 165 wurden 183 Sitze, man kehrte damit zu jener Größe zurück, die der Nationalrat zwischen 1920 und 1923 aufwies. Tatsächlich war die Zahl aber nebensächlich, es ging vielmehr um den Lohn der FPÖ für die Stützung einer SPÖ-Minderheitsregierung. Vorrangiger Wunsch der Freiheitlichen war, mit ihren damals 5,5 Prozent wieder Klubstärke zu erreichen. Diese lag damals bei acht Abgeordneten.

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Ein Jahr später, als Bruno Kreisky erstmals die absolute Mehrheit errang, sollte es dann auch so kommen. Zwar stagnierte die FPÖ bei der Zahl der Stimmen, erhöhte ihren Mandatsstand aber von sechs auf zehn Sitze und hatte wieder Klubstärke erreicht. Geändert wurde bei jener Reform auch, dass bei der Errechnung der Mandate nicht mehr die Zahl der Staatsbürger, sondern der Wahlberechtigten herangezogen wird. Das mag vielleicht irrelevant klingen, hatte aber bei zwei Wahlen davor dazu geführt, dass die SPÖ trotz Stimmenmehrheit weniger Mandate als die ÖVP erhielt. Die Volkspartei war nämlich vor allem dort stark, wo die Geburtenrate besonders hoch war: in ländlichen Regionen.

Danach wurde das Wahlrecht noch mehrfach novelliert, die Zahl der Abgeordneten blieb aber seither unverändert. 1992 wurden Regionalwahlkreise eingeführt, um die Proportionalität des österreichischen Verhältniswahlrechts noch mehr zu betonen. Und auch das Vorzugsstimmensystem wurde damals eingeführt, die Hürden dann vor rund vier Jahren etwas abgesenkt.

Mandate werden auf drei Ebenen vergeben

Doch wie werden die 183 Mandate genau vergeben? Was entscheidet, welcher Kandidat von welcher Liste einen Sitz im Parlament erhält? Und welche Rolle spielen die Vorzugsstimmen? Zunächst ist wichtig, dass nach der Reform 1992 Mandate auf drei Ebenen vergeben werden. Zuerst in den 39 Regionalwahlkreisen, dann in den Landeswahlkreisen, also den Bundesländern, und schließlich in einem dritten Ermittlungssverfahren bundesweit.

Die 183 Mandate des Nationalrats verteilen sich zunächst einmal auf die insgesamt 39 Regionalwahlkreise. Wie viele Sitze über diese Wahlkreise vergeben werden, wird vor jeder Wahl neu errechnet und hängt von der Zahl der dort lebenden Staatsbürger ab. Durch Zu- und Absiedlungen ergeben sich Verschiebungen. Niederösterreich, wo die meisten Einwohner leben, hat 37 Mandate zu vergeben, Wien hat 33, Oberösterreich 32, die Steiermark 27, Tirol 15, Kärnten 13, Salzburg 11, Vorarlberg 8 und das Burgenland 7.

In Wien gibt es sieben Wahlkreise, auf sie verteilen sich 33 Mandate. Ob diese Grundmandate auch tatsächlich in Anspruch genommen werden können, hängt aber von der Verteilung der Stimmen ab.

Über die Wahlzahl zum Mandat

Dazu wird nach der Wahl zuerst die sogenannte Wahlzahl errechnet, und zwar für jedes Bundesland. Dabei werden die abgegebenen gültigen Stimmen in jedem Bundesland durch die Zahl der Mandate dividiert, die in jedem Landeswahlkreis insgesamt vergeben werden. Das Beispiel aus Wien 2017: Hier wählten 871.672 Personen gültig, geteilt durch die Mandatszahl 33 ergab das eine aufgerundete Wahlzahl von 26.415. In anderen Bundesländern war sie ähnlich, etwas mehr oder etwas weniger.

Im ersten Ermittlungsverfahren in den 39 Regionalwahlkreisen wird nun geprüft, ob Parteien ausreichend Stimmen geholt haben, um die Wahlzahl zu erreichen. Gelingt es, erhält man ein Grundmandat und den fixen Einzug ins Parlament - auch wenn die Partei bundesweit die Vier-Prozent-Hürde verpassen sollte. Dieser Fall trat bisher aber noch nie ein. Mehr als die Hälfte der 183 Abgeordneten - nämlich 99 - kamen bei der Wahl 2017 über Direktmandate in den Regionalwahlkreisen ins Hohe Haus.

Hier kommen auch erstmals die Vorzugsstimmen ins Spiel. Grundsätzlich werden die Mandate - je nachdem, wie viele vergeben werden - an die Kandidaten auf den Listen von oben nach unten vergeben. Wenn es einem Kandidaten gelingt, Vorzugsstimmen von mindestens 14 Prozent der im Wahlkreis für seine Partei abgegebenen Stimmen zu bekommen, wird er oder sie an erste Stelle gereiht.

Auch auf den anderen zwei Ebenen können Vorzugsstimmen vergeben werden. Die Hürden werden dort nominell zwar niedriger - zehn Prozent im Landeswahlkreis, sieben Prozent für die Bundesliste -, die Chancen sind auf regionaler Ebene aber höher, da hier auch wirklich ein Persönlichkeitswahlkampf geführt werden kann. Die ÖVP hat die Hürden übrigens intern halbiert. Die Kandidaten mussten Verzichtserklärungen unterschreiben, im Fall der Fälle auf ihr Mandat zu verzichten. Rechtlich durchsetzbar ist das aber nicht.

Stimmen gehen nicht verloren

Dass in zahlreichen Wahlkreisen gar keine Grundmandate vergeben werden, ist nicht unüblich. In einem kleinen Wahlkreis mit wenigen Wählern ist es auch oft schwierig, die Wahlzahl zu erreichen, in Osttirol faktisch unmöglich. 2013 lag die Wahlzahl in Tirol bei 23.664, die Zahl aller gültigen Stimmen im Wahlkreis Osttirol bei nur 25.964. Eine Partei hätte für ein Grundmandat somit mehr als 90 Prozent erreichen müssen. 2017 lautete die Wahlzahl 27.429, und 29.395 gültige Stimmen wurden abgegeben. Für ein Mandat hätte eine Partei allein 93,31 Prozent der Stimmen gebraucht.

Die Stimmen gehen jedoch nicht verloren, sondern werden ins zweite Ermittlungsverfahren mitgenommen. Im Landeswahlkreis kommt ein weiteres Mal die Wahlzahl ins Spiel. Nun werden die Parteistimmen im Bundesland durch die Wahlzahl geteilt und damit die Mandate für den gesamten Landeswahlkreis ermittelt. Allfällige Grundmandate aus dem ersten Ermittlungsschritt werden danach abgezogen.

Diese Mandate sind wesentlich billiger zu haben als die Wahlkreis-Mandate: Nur 2,70 Prozent kostete ein Landesmandat 2017 in Niederösterreich, dem Land mit den meisten Wahlberechtigten. In Wien, Oberösterreich und der Steiermark waren zwischen drei und vier Prozent nötig, in Tirol beinahe sieben, in Kärnten mehr als sieben Prozent und in Salzburg rund neun. In den kleinsten Bundesländern Vorarlberg (12,50 Prozent) und Burgenland (14,29 Prozent) waren die Landesmandate am teuersten.

Die Bundesliste für den Rest

Im dritten Schritt wird nun ein anderes Verfahren angewandt, um die Wahlzahl zu ermitteln. Und das ist ein bisschen kompliziert. Die Zahl der bundesweit abgegebenen Stimmen für die einzelnen Parteien werden nebeneinander geschrieben und durch zwei, drei, vier, fünf, usw. dividiert. Die daraus resultierenden Zahlen werden der Größe nach gereiht und die 183. größte Zahl gesucht. Sie ist nun die Wahlzahl. 2017 war diese 25.735. Erneut werden die Stimmen der Parteien durch die (neue) Wahlzahl dividiert und danach die bisher errungenen Mandate abgezogen. Ganz kleine Parteien holen in der Regel erst bei diesem dritten Verfahren ihre Mandate, bei größeren Parteien ist der Anteil der Kandidaten, die über die Bundesliste in den Nationalrat einziehen, geringer.

Liegt es also nur in der Hand der Wählerinnen und Wähler, wer genau in den Nationalrat einzieht? Nun, nicht ganz. Nach der Wahl beginnt ein Gefeilsche in jenen Parteien, die auf mehreren Ebenen Mandate geholt haben. Innerhalb der Parteien werden die Mandate nach den Listen der drei Ebenen verteilt. Wobei Kandidaten auch auf zwei oder allen drei Ebenen (im Wahlkreis, Land und Bund) auf der Liste stehen dürfen. Welches Mandat ein Kandidat annimmt, kann in der Partei entschieden werden. Das gibt den Parteien die Möglichkeit, nach der Wahl an der personellen Zusammensetzung im Nationalrat ein wenig zu drehen. Beliebtes Motiv dafür: Landes- und Teil-Organisationen zufriedenzustellen.