Die Kriegsmüdigkeit ist in der Ukraine zwar groß. Ein Einknicken vor dem Kreml kann sich Präsident Selenskyj aber nicht leisten.
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Anfang Oktober schien es - zumindest für Optimisten - noch so, als sei der Weg zum Frieden in der Ostukraine geebnet: Die ukrainische Führung rund um den friedenswilligen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und die prorussischen Separatisten hatten sich auf einen Sonderstatus für den Donbass geeinigt. Es folgte der schrittweise beiderseitige Abzug von Truppen aus dem Frontgebiet. Ein Treffen zwischen Selenskyj und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin - bei gleichzeitiger Teilnahme von Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron - schien nur noch eine Frage der Zeit. Man sprach von einem Termin im November für das Gipfeltreffen, das den zunehmend unbeliebter werdenden Krieg beenden helfen soll.
Dass dieses Bild allzu optimistisch war, zeigte sich in den vergangenen Tagen. Nachdem Schüsse der Separatisten eine siebentägige Waffenruhe gebrochen hatten, verschob die ukrainische Armee einen geplanten Truppenabzug - zumindest vorerst. Wenn die Rebellen die Waffenruhe fortan respektieren, könne der Abzug am Freitag nachgeholt werden, gab der ukrainische Außenminister Wadim Pristaiko bekannt. Es geht also schleppend voran.
Zudem verweisen Beobachter darauf, dass von einem wirklichen Durchbruch, von einer echten Friedenslösung noch lange keine Rede sein kann. Denn die Ukraine kann von ihren zwei Kernforderungen nicht abrücken: der Übergabe der Grenzkontrollen zwischen den Separatistengebieten und Russland an die Ukraine. Und der Forderung, dass alle ausländischen Kämpfer aus den selbsternannten Donbass-Volksrepubliken abziehen sollen. Erst dann würde aus der Sicht Kiews dem Donbass ein Sonderstatus zustehen.
Dagegen sperren sich aber sowohl die von Russland abhängigen Separatisten als auch Moskau selbst. Dass es bei diesen beiden Punkten zu einem Kompromiss kommt, ist schwer vorstellbar: Die ukrainische Bevölkerung ist zwar kriegsmüde und sehnt sich nach Frieden. Ein Einknicken gegenüber Moskau wäre aber alles andere als populär. Schon gegen den Rückzug gab es Proteste.
Der Sieg Selenskyjs bei den Wahlen war auch ein Votum dafür, dass er den Krieg beenden soll. Verlieren darf er ihn nicht.