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Der Westen bläst zu geordnetem Rückzug

Von WZ-Korrespondentin Agnes Tandler

Politik
Karzai besuchte mit Hillary Clinton den Basar von Kabul. Foto: ap/Paul J. Richards

Repräsentanten aus 40 Ländern sind bei der Afghanistan- Konferenz in Kabul. | Afghanistan soll ab 2014 selbst für seine Sicherheit sorgen. | Kabul. "Es ist der Beginn einer neuen Phase, nicht das Ende unseres Engagements", betonte US-Außenministerin Hillary Clinton feierlich. Auf der als "Meilenstein" gefeierten Konferenz am Dienstag in Kabul wurde dennoch zum geordneten Rückzug geblasen. Afghanistans Präsident Hamid Karzai verkündete, dass er entschlossen sei, dass das afghanische Militär und die Polizei ab 2014 selbst für die Sicherheit des Landes sorgen. Vor ein paar Monaten hatte Karzai noch betont, er hoffe, die westlichen Truppen blieben noch Jahrzehnte im Lande. | Machtübergabe könnte Lage der Frauen verschlechtern | Bin Ladens Vize sieht Taliban-Sieg


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Außenminister aus fast 40 Ländern und andere wichtige politische Repräsentanten wie UN-Generalsekretär Ban Ki-moon und Nato-Ratsvorsitzender Anders Fogh Rasmussen waren nach Afghanistan angereist, um über die Zukunft des Landes zu beraten. Das Datum für die Übertragung der Verantwortung auf die afghanische Regierung ist in den letzten Monaten immer weiter nach vorne gerutscht. Die Bekanntgabe eines neuen Zeitplan für die rasche Übergabe war daher die wichtigste Aufgabe der hochkarätigen Versammlung. Der seit fast neun Jahren dauernde Krieg am Hindukusch verschlingt jeden Tag Millionen US-Dollar.

Kabuler Treffen dauerte nur sieben Stunden

Auch die Konferenzteilnehmer in Kabul selbst schienen in Eile: Wegen der prekären Sicherheitslage und um das Risiko so gering wie möglich zu halten, waren für das gesamte Treffen nur sieben Stunden angesetzt. Weil Angriffe der aufständischen Taliban auf die Versammlung erwartet wurden, waren die meisten Diplomaten erst in den frühen Morgenstunden eingeflogen worden, während die gesamte Stadt und der Flughafen komplett abgesperrt waren. Ein Raketenangriff der Taliban auf den Flughafen gegen ein Uhr nachts richtete kaum Schaden an. Einige Flugzeuge mit Konferenzteilnehmern wurden danach jedoch auf den nahe gelegenen US-Luftwaffenstützpunkt Bagram umgeleitet.

"Wir stehen einem gemeinsamen, bösartigen Feind gegenüber", beschwor Afghanistans Präsident Karzai die Zusammenarbeit zwischen seinem Land und dem Westen. Zwar verlangte der Regierungschef diesmal nicht mehr Geld vom Westen, sondern erklärte, die Mittel reichten für die kommenden drei Jahre aus. Er forderte jedoch, dass 50 Prozent der Hilfsgelder in Milliardenhöhe vom afghanischen Staat und nicht von den internationalen Organisationen verteilt würden. Bislang werden nur etwa 20 Prozent der Unterstützung des Westens durch die afghanische Regierung verwaltet.

Das Land mit seinen 29 Millionen Einwohnern gilt als eines der ärmsten und korruptesten der Erde. Berichte über Veruntreuung von Hilfsgeldern in Milliardenhöhe erschüttern regelmäßig das Vertrauen des Westens in die Regierung in Kabul. Der US-Kongress legte gerade ein vier Milliarden US-Dollar schweres Hilfspaket auf Eis. Auch die Europäische Union setzte ihre Unterstützungsleistung in Höhe von 200 Millionen Euro pro Jahr aus, um zunächst die Ergebnisse der Kabul-Konferenz abwarten. Das Land hat seit 2001 um die 36 Milliarden US-Dollar an internationaler Hilfe erhalten.

Karzai gestand ein, dass es dem Lande noch an guter Regierungsführung fehle, versprach jedoch Besserung. Gleichzeitig suchte Karzai Mittel und Unterstützung für seinen Plan, 36.000 Taliban-Kämpfer gegen Geld davon zu überzeugen, dem bewaffneten Kampf abzuschwören.

Nato-Generalsekretär Rasmussen bezeichnete die Konferenz als "sehr positiv". "Wir sind auf dem richtigen Wege". Es sei gut, dass nun ein Zeitplan stehe. Der Plan sei unrealistisch, sagte hingegen Ali Seraj, politischer Analyst in Kabul. Die afghanischen Sicherheitskräfte seien nicht stark genug, sagte er dem TV-Sender "Al-Jazeera".

Stichwort: Internationale Afghanistan-Konferenzen

Seit dem Sturz des mit pakistanischer Hilfe etablierten Taliban-Regimes durch eine US-Militärintervention im Herbst 2001 hat sich eine Reihe von internationalen Konferenzen mit der Zukunft Afghanistans beschäftigt.

Die Ergebnisse der wichtigsten Tagungen:

Bonn (Petersberg), 27. November bis 5. Dezember 2001: Unter Vermittlung der Vereinten Nationen treffen sich Vertreter der verschiedenen ethnischen Gruppen des Vielvölkerstaates. Sie einigen sich auf demokratische Regierungsstrukturen und auf Hamid Karzai als Präsidenten einer Übergangsregierung bis zur Durchführung von freien Wahlen.
Berlin, 31. März bis 1. April 2004: Mehr Geld und Soldaten sollen Afghanistan helfen. Vertreter von 56 Staaten vereinbaren, die internationalen Truppen im Landesinneren zu verstärken und die Finanzhilfe in den kommenden drei Jahren auf 8,2 Milliarden Dollar aufzustocken. Die Zahl der regionalen Wiederaufbauteams aus Soldaten und zivilen Helfern soll erhöht werden.
London, 31. Jänner bis 1. Februar 2006: Mehr als 70 Teilnehmerstaaten verabschieden einen neuen "Afghanistan-Pakt", der das Land bis Ende 2010 voranbringen soll. Sie stellen rund 10,5 Milliarden Dollar bereit. Das Fünf-Jahres-Programm sieht unter anderem den Aufbau einer Afghanischen Nationalarmee (ANA) mit bis zu 70.000 Soldaten vor. Ende 2007 sollen die illegalen Milizen entwaffnet sein.
Paris, 12. Juni 2008: Vertreter von rund 80 Staaten und Organisationen ziehen Bilanz über den Stand von Wiederaufbau, Entwicklung und Stabilisierung. Die internationale Gemeinschaft verspricht Aufbauhilfe in Höhe von 21,4 Milliarden Dollar und fordert zugleich mehr Anstrengungen im Kampf gegen Korruption und Drogenanbau. Erklärtes Ziel der Konferenz ist es, den Afghanen mehr Eigenverantwortung für den Aufbau zu übertragen.
Den Haag, 31. März 2009: Die Staatengemeinschaft bekennt sich zur neuen Strategie der USA. Danach sollen militärische, zivile und diplomatische Aktivitäten helfen, den Konflikt zu überwinden. Die USA wollen ihre Truppen deutlich aufstocken und tausende Berater für den weiteren Ausbau der afghanischen Sicherheitskräfte entsenden. Außerdem soll die wirtschaftliche Aufbauhilfe für Afghanistan und dessen Nachbarn Pakistan deutlich verstärkt werden. An der Konferenz nehmen mehr als 70 Staaten teil.
London, 28. Jänner 2010: Die Weichen für einen Strategiewechsel werden gestellt: Außenminister und andere hochrangige Vertreter aus rund 70 Ländern beschließen eine schrittweise Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die Afghanen. Für gemäßigte Taliban wird ein Aussteigerprogramm geschaffen. Mit materiellen Anreizen sollen Kämpfer bewegt werden, ihre Waffen niederzulegen. Außerdem fordern die Konferenzteilnehmer von dem afghanischen Präsidenten Karzai Fortschritte bei der Korruptionsbekämpfung und der Entwicklung eigener rechtsstaatlicher Institutionen.
Kabul, 20. Juli 2010: Bei der Konferenz an diesem Dienstag soll ein halbes Jahr nach den Beschlüssen von London Zwischenbilanz gezogen werden. Die Fortschritte bei Korruptionsbekämpfung, Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit sollen überprüft, das Aussteigerprogramm für Taliban soll konkretisiert werden.