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Der Politologe Daniel Treisman über die Beziehungen zwischen Moskau und Washington.
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"Wiener Zeitung": Das US-Justizministerium klagt russische Staatsbürger wegen Einmischung in die Präsidentschaftswahlen an, amerikanische Soldaten liefern sich Gefechte mit russischen Söldnern in Syrien und das alles, während Russland gemeinsam mit China an der Entwicklung von sogenannten Space Weapons arbeitet. Wie ist es um die russisch-amerikanischen Beziehungen im Jahr 2018 bestellt?
Daniel Treisman: Die Beziehung zwischen den beiden Staaten ist tatsächlich durch Konflikte auf gleich mehreren Ebenen charakterisiert, aber es gibt noch Felder für mögliche Kooperation. Zum Beispiel wünschen sich die USA, dass Russland Teil jener Koalition ist, die Nordkorea dazu bringen will, sein Nuklearwaffen-Programm zu stoppen. Dazu kommt ein gemeinsames Interesse, Zusammenstöße wie den, der jetzt in Syrien passiert ist, zu vermeiden. Die bestehenden Konflikte zu managen ist aber aus verschiedenen Gründen ungewöhnlich schwierig geworden. Um nur zwei zu nennen: Erstens wird die Russland-Politik der USA von mehreren Mitspielern gestaltet - dem Weißen Haus, dem Kongress, dem Außenministerium und - indirekt - dem Justizsystem, das auch von Sonderermittler Robert Mueller repräsentiert wird. Zweitens verfolgt Russland eine Politik der Schwächung des Westens durch verdeckte Aktionen. Probleme durch offenen Dialog zu lösen macht das dementsprechend schwierig.
Die russischen Bestrebungen, mit Hilfe von sozialen Medien die US-Innenpolitik zu beeinflussen, gehören mittlerweile zum Alltag, und es deutet nichts darauf hin, dass sich daran bald etwas ändern wird. Gibt es diesbezüglich ein konkretes Ziel? Oder geht es Russland wirklich nur darum, Misstrauen in die politischen Institutionen zu schüren und die US-Gesellschaft weiter zu spalten?
Ich glaube, dass die russischen Entscheidungsträger davon überzeugt sind, dass die westlichen Regierungen - allen voran die USA - alle ihnen zur Verfügung stehenden Methoden nutzen, um das Regime von Präsident Wladimir Putin zu unterminieren. Ihre Antwort besteht darin, einfach das gleiche Spiel zu spielen. Russland erachtet diesen Wettbewerb sozusagen als ganz normalen Zustand zwischen zwei mächtigen Nationen. Dabei gibt es kein wie immer geartetes "Endspiel". Was wir erleben, stellt lediglich eine neue Normalität dar.
Wie soll der Westen darauf reagieren?
Mit einem Balanceakt. Auf der einen Seite müssen die westlichen Regierungen ihre Verteidigungskapazitäten gegen diese verdeckten Subversionsmaßnahmen massiv erhöhen. Auf der anderen müssen sie das tun, ohne das Problem zu überhöhen und hysterisch zu werden. Wir brauchen ein viel effektiveres Monitoring der russischen Propaganda-Aktivitäten im Internet, allen voran der in den sozialen Medien.
Was es zudem braucht, sind öffentliche Erziehungs- und Informationskampagnen, die es Internet-Usern ermöglichen, alle Versuche, sie zu manipulieren, zu erkennen. Darüber hinaus müssen wir ausländische Akteure viel stärker als bisher davon abhalten, extremistische Parteien im Westen mit finanziellen oder anderen Mitteln auszuhelfen, und wir müssen viel mehr in die Sicherheit unserer digitalen Infrastruktur investieren.
Am 18. März findet in Russland die erste Runde der Präsidentschaftswahlen statt, und es gibt praktisch keinen Zweifel daran, dass Amtsinhaber Wladimir Putin wiedergewählt wird. Warum?
Der Kreml hat alle Kandidaten von der Wahl ausgeschlossen, die eine potenzielle Gefahr für Putin darstellen, allen voran Alexej Nawalny. Deswegen sehen viele Wähler schlicht keine Alternative zum Präsidenten. Gleichzeitig ist dieser wegen der Annexion der Krim nach wie vor enorm populär in der Bevölkerung. Aus Sicht der Russen ist Putin dadurch schon jetzt zu einer historischen Figur geworden.
Im Westen konzentriert sich alles auf die Person Putin; aber wenn es darum geht, was sich im Inneren Russlands abspielt: Was oder wem sollten wir mehr Aufmerksamkeit schenken und tun es bisher nicht?
In meinem neuen Buch argumentiere ich, dass sich in der russischen Innenpolitik beständig zwei Modi gegenseitig abwechseln. Der erste Modus ist, was ich "Politik auf Autopilot" nenne: Jene Art von Politik, auf die Putin keinen persönlichen Einfluss nimmt. In diesem Modus - und dieser umfasst den Großteil der Staatsgeschäfte - machen sich verschiedene Bürokraten-Fraktionen, Angehörige der Duma, der Sicherheitsdienste, Geschäftsmänner, Medien- und regionale Eliten sowie mächtige Individuen untereinander aus, was passiert; mitunter auch mit ziemlich üblen Methoden. Mit einer gut geölten Diktatur, wie das von manchen westlichen Medien dargestellt wird, hat das wenig zu tun.
Der zweite Modus besteht in dem, was ich "manuelle Kontrolle" nenne. Er setzt jedes Mal dann ein, wenn Putin einen klaren Standpunkt einnimmt. In diesem Fall kommen die Befehle tatsächlich von ganz oben. Das heißt aber trotzdem nicht zwangsläufig, dass sie auch umgesetzt werden, weil sie oft nicht zu Ende gedacht sind und praktische Schwierigkeiten oder Korruption im Weg stehen. Dazu kommt, dass sich Putin einer großen Menge an freien Mitarbeitern bedient, die alle autorisiert sind, sich - oft verdeckt - bestimmten Themen und Problemen zu widmen. Dabei handelt es sich in der Regel um Individuen, die zur unmittelbaren Entourage des Präsidenten zählen.
Wenn er die volle Amtszeit absolviert, wird Putin an deren Ende 71 Jahre alt sein. Worauf wird er sich in den kommenden sechs Jahren konzentrieren?
Auf seine Nachfolge. Darauf, jemanden zu finden, dem er ohne Bedenken die Macht übergeben kann.
Wie wird sich Putins politisches Erbe innerhalb des Landes darstellen?
Russland hat sich seit seinem Amtsantritt im Jahr 2000 rapide modernisiert. Heute sind viele Russen gut ausgebildet und haben viel höhere Einkommen als früher. Sie sind Technologie-affin, international gut vernetzt und viel moderner, als es durch die Berichterstattung in westlichen Medien gemeinhin vermittelt wird. Die Transition weg vom Putinismus könnte schmerzhaft werden, aber ich glaube, dass das politische System Russlands mittelfristig ein offeneres und inklusiveres werden könnte. Das wird nicht zuletzt davon abhängen, wie sich der Westen verhält, wenn es mit der Ära Putin zu Ende geht; ob es gelingt, eine neue Beziehung aufzubauen, oder ob westliche Aktionen dazu beitragen, den russischen Nationalismus neu zu befeuern.
Und was wird international vom Putinismus bleiben?
Aus Sicht des Westens hat Russland mit der Annexion der Krim in der Ukraine internationales Recht verletzt. Dieses Problem wird auch von einer neuen Regierung schwer zu lösen sein, die sich vielleicht bessere Beziehungen zum Westen wünscht. Aber es ist noch viel zu früh, um darüber zu spekulieren. Vielleicht gelingt es Russland ja tatsächlich, die EU und die Nato entscheidend zu schwächen. Andererseits besteht aber auch die Möglichkeit, dass die Nato als Folge der Besetzung der Krim endlich ihre Verteidigung im Osten stärkt.
Daniel Treisman gilt in den USA als einer der Top-Experten für russische Politik und Wirtschaft. Der 53-jährige, an der Eliteuniversität UCLA (University of California, Los Angeles) lehrende Politikwissenschafter arbeitet nebenbei für das National Bureau of Economic Research, veröffentlicht in Fachblättern wie "Foreign Affairs" und "Foreign Policy" und berät Institutionen wie die Weltbank sowie die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung. Seine Ausbildung begann der aus einer berühmten Akademikerfamilie stammende Treisman - seiner Anfang Februar verstorbenen Mutter Anne, einer Psychologin, verlieh US-Präsident Barack Obama 2011 die National Medal of Science - an der britischen Oxford University. Sein Doktorat machte er 1995 in Harvard.
Treisman ist Autor und Herausgeber von vier Büchern zum Thema Russland, darunter das als Standardwerk geltende "The Return: Russia’s Journey from Gorbachev to Medvedev". Sein jüngstes Werk, "The New Autocracy: Information, Politics, and Policy in Putin’s Russia", ist Anfang des Monats erschienen.
Zur englischen Originalversion des Interviews: "The West mustn't become hysterical"