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Der "Westen" existiert - vor allem als Inszenierung

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Das Problem sind nicht die Gipfeltreffen, sondern ist die Alltagsroutine dazwischen.


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Es ist ratsam, sich beim Blick auf die eigene Verfasstheit nicht zum Tragen einer rosaroten Brille verleiten zu lassen. Schönfärberei ist zwar im politischen Geschäft gang und gäbe, sich selbst aber sollte man unbequeme Tatsachen durchaus zumuten. Die tröstliche Nachricht anlässlich des G7-Gipfels lautet: Das, was bisher als "Westen" bezeichnet wird, hat sich selbst noch nicht aufgegeben. Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre ist das alles andere als selbstverständlich.

Die ernüchternde Nachricht ist eine direkte Folge der tröstlichen: Der Wille der großen westlichen Industriestaaten, sich nicht nur auf die eigenen Werte und Interessen, sondern auch auf eine darauf aufbauende gemeinsame Strategie zu verständigen, nimmt einen erheblichen Teil ihrer zur Verfügung stehenden diplomatischen und politischen Ressourcen in Beschlag. Nicht nur im Rahmen der G7, deren Spitzen sich bis Sonntag im idyllischen Cornwall treffen, sondern auch in der Nato, dem westlichen Sicherheits- und Verteidigungsbündnis.

Für die reale Umsetzung einer schlüssigen Strategie für den Umgang mit Kontrahenten, Konkurrenten und fallweisen Verbündeten in Politik, Wirtschaft und Diplomatie fehlt jedoch die Kraft. Die Mediation via Sitzkreis, die unentwegte Nabelbeschau verleitet dazu, dass schon Ankündigungen entschlossenen Handelns für die Tat gehalten werden.

Schlimmer noch: Ein- nach globalen Maßstäben, und welche anderen sollte es für den Westen geben? - Micky-Maus-Thema wie die Lage in Nordirland unter Brexit-Bedingungen verlangt über Jahre nach einem diplomatischen Kraftakt zwischen der EU und Großbritannien - und kann dann offensichtlich immer noch nicht ohne Einwirken der USA gelöst werden. Und die Nato, der militärische Arm des Westens, taugt momentan höchstens zur Stabilisierung der brüchigen Allianz nach innen, jedoch kaum als Mittel zur Projektion von Macht zur Durchsetzung westlicher Interessen, und sei es, dass diese in Friedenssicherung oder Kriegsvermeidung an der instabilen Peripherie Europas bestehen. Dass nun also im romantischen St. Ives die Rückkehr des Westens auf die Weltbühne proklamiert werden wird, ist in erster Linie eine Inszenierung, die deshalb große Verbreitung finden wird, weil sie von so vielen geglaubt werden will. Die entsprechenden Bilder und Ankündigungen werden das Ihre dazu beitragen. Das Problem sind nicht die Gipfeltreffen - Ausnahmen von der Regel bestätigen die Regel -, sondern ist die Alltagsroutine dazwischen.