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"Der Westen wird sich noch wundern"

Von WZ-Korrespondent Arian Faal

Politik
Ahmadi-Nejdad vor seinem Übervater, Revolutionsführer Ayatollah Khomeini.

Bilanz einer umstrittenen einjährigen Präsidentschaft. | Iran als großer Gewinner der Nahost-Krise. | Teheran. Wenn man dieser Tage durch die iranische Millionenmetropole Teheran spaziert, fällt die große Präsenz an "Basijmilizen" und Revolutionsgarden - die Armee unterstützende paramilitärische Sittenwächter - auf. Sie huldigen dem Mann, der heute vor einem Jahr mit ihrer Hilfe zum sechsten Präsidenten der Islamischen Republik Iran gewählt wurde und mittlerweile als einer der umstrittensten und eigensinnigsten Staatschefs gilt: Mahmud Ahmadi-Nejad.


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Vor zwölf Monaten wollten viele Kommentatoren im Westen in ihm nicht mehr sehen als eine Witzfigur. Auch manch iranischer Oppositioneller tröstete sich über seine unerwartete Wahl mit dem Gedanken hinweg, wenn ein solch ungehobelter Mensch und linkischer Ideologe an die Spitze des Regimes gewählt wurde, müsse es sich dabei wohl um das letzte Aufgebot der Mullah-Theokratie vor ihrem nahen Zusammenbruch handeln. Heute lacht kaum noch jemand über den schmächtigen Mann, der mit dem Gottesstaat noch große Pläne hat. Freuen kann sich vielmehr Ahmadi-Nejad darüber, der Welt gezeigt zu haben, dass er unterschätzt wurde.

Außenpolitisch katapultierte der nur 1,54 Meter große fanatische Visionär den Iran in den vergangenen zwölf Monaten mit seiner unnachgiebigen Haltung im Atomstreit, seinem anti-westlichen Kurs und den Hasstiraden gegen Israel ("muss von der Landkarte getilgt werden", "der Holocaust ist ein Mythos") zunehmend in die Isolation.

Der kalkulierte

Rundumschlag

"Alle Brücken, die sein Vorgänger Mohamad Khatami in acht Jahren mühevoll zum Westen aufgebaut hatte, vermochte Ahmadi-Nejad in wenigen Sätzen zu zerschlagen", bilanziert ein französischer Diplomat nüchtern. Bei all diesen spektakulären Ausfällen handelt es sich nicht um Entgleisungen eines unbedarften Außenseiters oder gar eines Irren. Seine Attacken folgen den Mustern einer geschlossenen Weltanschauung und dienen klar kalkulierten Zielen.

Sie sind immer dazu ausgerichtet, sich an sein großes Idol, dem Revolutionsführer Ayatollah Ruhollah Khomeini, anzulehnen. Das heißt einerseits, den Iran zu den Wurzeln der Revolution von 1979 zurückzuführen und andererseits, durch eine provokative Außenpolitik von innenpolitischen Krisen abzulenken.

Während man bei Khatami gewohnt war, dass er - wenngleich vergeblich - versuchte, die Öffnung zum Westen im Einklang mit dem strikten Reglement des Mullahregimes zu bringen (wichtige Entscheidungen traf ohnehin nur der Wächterrat mit Ayatollah Khamenei), versteht es Ahmadi-Nejad, trotz seines beschränkten Handlungsspielraumes vortrefflich, nicht nur den Westen vor den Kopf zu stoßen, sondern auch die Mullah-Elite etwa mit der Überprüfung der Finanzen des Ölministeriums.

Zum Vorteil seiner fundamentalistischen Klientel hat Ahmadi-Nejad seine Machtposition im Staatsapparat systematisch ausgebaut. Allein im Außenministerium wurden 300 leitende Stellen neu besetzt und 40 Botschafter ausgewechselt. Der Heldenkult wurde durch die Gründung eines "Kommandos der freiwilligen Märtyrer" wiederbelebt, das 50.000 einsatzbereite Selbstmordattentäter ausgebildet haben will. Im Falle eines Angriffs auf den Iran sollen sie den Terror in den Westen tragen.

Taktieren im Atomstreit und Attacken auf Israel

Das Taktieren verstanden die Iraner von jeher ausgezeichnet. Die westliche Kritik an Irans Politik motivierte den unberechenbaren Staatschef daher zu weiteren Coups etwa seine Briefe an "wichtige Persönlichkeiten des Westens", in der er die "Sicht Irans bezüglich der Lage in der Region" gemischt mit religiösem Manierismus darlegt. Bisherige Empfänger waren US-Präsident George W. Bush, Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef Jacques Chirac.

Seinen aggressiven Konfrontationskurs unterstrich der Perser mit der Intensivierung der Kontakte zu Syrien und zu Venezuela, mit dem Abschluss von Wirtschaftsverträgen mit den blockfreien Staaten, der Unterstützung der Palästinenser und der Hisbollah sowie mit der Solidarisierung mit den Schiiten im Irak.

Doch damit nicht genug: Auch den arabischen Staaten bewies Ahmadi-Nejad mit seiner "No-fear"-Politik, dass der Iran seine regionale Vormachtstellung ausbauen würde. Initiativen im Irak, die demonstrative Hilfe für die Palästinenser und die Entsendung von iranischen Kämpfern in den Libanon riefen eine große Sympathiewelle der arabischen Zivilbevölkerung hervor. Während die arabischen Regierungen sich im laufenden Konflikt hinsichtlich ihrer Unterstützung für die Hisbollah zurückhielten, war eine neue Identifikationsfigur gefunden.

Innenpolitisch hat der 50-jährige "Diener des Volkes" - wie er sich selber nennt - den Mullahstaat umgekrempelt und träumt von einer Rückkehr zu den Wurzeln der Iranischen Revolution von 1979. So wurden die Kleidungsvorschriften verschärft, westliche Satellitenprogramme verboten, liberale Zeitungsredaktionen geschlossen und Charterflüge in die Türkei wegen der "Unsittlichkeit der türkischen Ferieninseln" gestrichen. Darüber hinaus sorgte ein Musikverbot für westliche Musik und die Verhaftung von dutzenden Intellektuellen für große Empörung.

Als Zuckerl setzte sich der Präsident allerdings massiv für die Aufwertung des Alltaglebens der Unterschicht ein. Billigkredite, Steuererleichterungen und Heiratszuschüsse sind Teil eines Gesamtpakets, das ihm auch weiterhin Sympathiewerte einbringen.

Zum Libanonkonflikt erhebt der Präsident den Zeigefinger: "Der Westen und vor allem Israel werden sich noch wundern", erklärte er kürzlich. Somit ist garantiert, dass auch das zweite Jahr seiner Amtszeit voll von unschönen Überraschungen sein wird.