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Der Wetterwürfel ist "gezinkt"

Von Heiner Boberski

Wissen

+++ Boku-Meteorologin | fordert Taten gegen den Klimawandel. | Österreichs Wasser wird sehr kostbar.


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"Wiener Zeitung":Frau Professor, mit welchem Gefühl erfüllt Sie der Titel "Wissenschafterin des Jahres"?Helga Kromp-Kolb: Man fühlt sich natürlich geehrt. Besonders freut mich, dass einem Thema wieder mehr Publikum verschafft wird, das mir sehr am Herzen liegt: unserer Umwelt.

Diese Auszeichnung ehrt auch das Auftreten in der Öffentlichkeit. Sie hatten durch Ihr Werk "Schwarzbuch Klimawandel" 2005 vermutlich sehr viele Medienauftritte?

Das stimmt, aber immer wenn eine Katastrophe im Zusammenhang mit dem Wetter auftritt, ist das Medieninteresse relativ groß. Und mir ist ein Anliegen, eine wissenschaftlich vertretbare und haltbare Information zu liefern, auch wenn sie vereinfacht sein muss. Warum soll der Staatsbürger für Forschung Geld ausgeben, wenn er nichts zurückbekommt?

Es ist Aufgabe der Wissenschaft, Informationen auch hinauszutragen. Bei Themen von gesellschaftspolitischer Bedeutung ist das eine Notwendigkeit. Das Bild des Wissenschafters, der mit seinem fachlichen Problem aufsteht und schlafen geht, ist nicht mehr die Realität. Die meisten sind stark mit anderen Aufgaben, auch mit dem Auftreiben von Geld beschäftigt. Zum Beispiel wird die Klimaforschung in Österreich, meine Gruppe an der Boku, ausschließlich von Drittmitteln finanziert, außer meiner Stelle gibt es keine Planstelle dafür.

Woher kommen diese Mittel?

In erster Linie vom Umweltministerium und von der EU. Aber um EU-Gelder zu akquirieren, muss man sehr dahinter sein.

Welche Naturkatastrophen sind Einzelerscheinungen, was kann man dem Klimawandel anlasten? Die Hurrikans im Süden der USA?

Katastrophen wie Überschwemmungen sind nicht nur Folge des Wetters. Wenn wir unsere Flusslandschaften anders gestalteten, würden die Niederschlagsmengen zwar auch Überschwemmungen auslösen, aber nicht solche Katastrophen. Zur Katastrophe wird das Ereignis erst, wenn der Mensch oder eine Infrastruktur des Menschen betroffen ist. Im Grunde kann man bei keinem einzelnen Ereignis sagen: Das ist der Klimawandel. Wenn einmal die 6 beim Würfeln kommt, kann ich noch nicht sagen, dass der Würfel gezinkt ist, erst wenn es ständig vorkommt und ich einen Spieler schon verdächtige, dass er falsch spielt. Jedes Einzelereignis könnte auch ohne Klimawandel passieren.

Die Hurrikans sind ein gutes Beispiel. Wenn ich die Energie von Hurrikans in einer gewissen Region messe und dort zugleich eine steigende Temperatur der Meeresoberfläche feststelle, habe ich gute Gründe zur Annahme, dass ein Zusammenhang besteht.

Gibt es neue Erkenntnisse zum Klimawandel?

Das Neue ist, dass es nichts Neues gibt. Die Forschungsergebnisse bestätigen sich ständig. Die Grundinformation hält jetzt schon seit Jahrzehnten, ich finde das beruhigend.

Die Szenarien sind aber weniger beruhigend . ..

Ja, aber wir sind dem ja nicht hilflos ausgeliefert. Mir liegt am Herzen, dass wir reagieren.

Ein britischer Forscher behauptet, in wenigen Jahrzehnten seien nur mehr arktische Regionen bewohnbar.

Das ergeben die Modellberechnungen nicht. Von wenigen Jahrzehnten kann da keine Rede sein.

Andere Klimaforscher sagen, alles liege noch in der Bandbreite des Normalen . . .

Es gibt einzelne Wissenschafter, die sich instrumentalisieren lassen, im Interesse gewisser Wirtschaftskreise und Regierungen, die nicht handeln und den Zweifel am Klimawandel aufrechterhalten wollen. Aber seit 20 Jahren stimmen die Prognosen und Szenarien für die Zukunft, die Entwicklung der Konzentrationen in der Atmosphäre und der Temperaturen, mit den Berechnungen überein. Im Gegenteil, es ist schneller gegangen. Die Natur wird damit zurande kommen, der Globus wird nicht platzen. Aber es wird andere Ökosysteme geben, alte werden vernichtet oder zurückgehen - inklusive Mensch. Da wir ein Hirn haben, könnten wir darauf aber vernünftig reagieren.

Wird der Golfstrom bald versiegen?

Die Modelle zeigen, dass er jetzt schon schwächer wird. Um die Jahrhundertwende 2100 wird er möglicherweise so weit versiegen, dass die Wärme in Europa und Nordamerika, die ihm zu verdanken ist, verloren ist. Es gibt eine Pentagon-Studie, die dadurch die Sicherheit der USA massiv bedroht sieht. Man kann die Bedrohung aber auch auf die Erwärmung beziehen und auf andere Länder. Der Klimawandel führt dazu, dass Menschen erst ihr Wasser, dann ihre Nahrung und ihren Lebensraum verlieren. Das fängt mit Grenzstreitigkeiten an und endet mit Krieg, irgendwo dazwischen liegt der Terrorismus.

Was wird uns in allernächster Zeit am meisten treffen?

Wenn es nicht gelingt, annähernd zu erreichen, dass die globale Erwärmung zwei Grad nicht überschreitet, dann sind Regionen, wo Menschen von der Nahrung leben, die sie im unmittelbaren Umfeld anbauen, als erste betroffen. Hungersnöte wie in der Sahelzone oder in Biafra werden sich ausweiten. Viele Entwicklungsländer werden unter Wasserknappheit leiden, aber auch der Süden Europas. Es wird auch innerhalb der EU zu Spannungen kommen. Österreich hat es relativ gut. Wer aber viel von einem Gut hat, das andere gern hätten, hat auch Probleme.

Sind die Maßnahmen gegen den Klimawandel nicht bescheiden? Und die Kyoto-Ziele schon außer Reichweite?

Wenn man es nüchtern von der CO 2 -Bilanz in der Atmosphäre betrachtet, erschüttert mich das nicht besonders. Kyoto wäre nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Dafür scheint mir der Einstieg in anderer Form gelungen. Es hat ein Klimabewusstsein die Politik erfasst, auch in Teilen Amerikas unter der Administration Bush. Das Umdenken wird unterstützt werden durch die Knappheit von Öl und Erdgas Es löst aber das Klimaproblem nicht, wenn man wieder auf Kohle zurückgreift. Wichtig wäre der effiziente Einsatz von Energie. Allein der Verzicht auf den Standby-Modus könnte in Deutschland ein Kernkraftwerk einsparen. Kommt es uns auf die Sekunde an, um ein Gerät schnell verfügbar zu haben?

Sie waren Orientierungsläuferin. Hasten wir hier nicht durch die Gegend, ohne dem Ziel näherzukommen?

Wir sind sicher nicht in der Zielgerade, fangen aber an zu erkennen, dass es ein Ziel gibt. Ich glaube, dass wir das Potenzial für eine rasche Umstellung haben. Die Politiker müssten mehr Mut beweisen und Leadership zu einer großen Vision zeigen. Ich glaube, wenn sie sagen, der heutige Kurs führt in eine Sackgasse, wir müssen korrigieren, wären die Menschen bereit, dem zu folgen.

Wie sieht diese große Vision kurz gefasst aus?

Ein Leben im Einklang mit der Natur und nicht gegen die Natur. Die Natur nicht ausbeuten, sondern nachhaltig gestalten.